Stigmatisierungseffekte durch Hinweise auf Fördermaßnahmen bei der Besetzung von Spitzenpositionen
Die Studie untersucht am Beispiel von relativen Quotenregelungen, ob Fördermaßnahmen für Frauen und Menschen mit Schwerbehinderung bei der Besetzung von öffentlichen Spitzenpositionen Stigmatisierungseffekte haben. Fördermaßnahmen, wie relative Quotenregelungen (bevorzugte Einstellung bei gleicher Eignung) sollen Chancengleichheit schaffen, doch Kritiker*innen argumentieren, dass Fördermaßnahmen Begünstigte als weniger qualifiziert erscheinen lassen und die Auswahlentscheidung als weniger legitim wahrgenommen werde. Empirische Evidenz, für oder gegen dieses Argument, liegt für Deutschland bislang nicht vor. Die Studie prüft daher, ob ein Hinweis auf die bevorzugte Einstellung einer Frau bzw. einer schwerbehinderten Person – bei identischer formaler Qualifikation – die Einschätzungen zu Qualifikation, Legitimität und Befürwortung beeinflusst. Denkbar ist, dass der Hinweis auf eine Quotenregelung die Wahrnehmung der Kandidatin verschlechtert (Stigma-Effekt), keinen Einfluss hat oder sogar verbessert (positiver Attributionseffekt). Ein solcher positiver Effekt könnte auftreten, wenn Befragte den Hinweis so interpretieren, dass die Person einer marginalisierten Gruppe angehört und sich daher besonders anstrengen musste oder „besonders gut“ sein muss, um die gleiche berufliche Stellung wie eine angehörige Person einer nicht-marginalisierten Gruppe zu erreichen. Die Untersuchung ist auch über die bestehende Forschungslücke hinaus von gesellschaftlicher Relevanz. Zum einen kann sie zur Versachlichung der Debatte um Gleichstellungsinstrumente beitragen, die häufig emotional und normativ aufgeladen geführt wird. Zum anderen bleiben Repräsentationsdefizite in Spitzenpositionen trotz jahrzehntelanger Gleichstellungspolitik bestehen, sodass Fördermaßnahmen auch künftig eine Rolle spielen werden. Die empirischen Befunde liefern daher nicht nur eine Grundlage für die Bewertung bestehender Regelungen, sondern auch einen Anhaltspunkt für die Gestaltung und Akzeptanz zukünftiger Maßnahmen.
Methode
Die Befragung umfasst insgesamt acht Vignetten in zwei Teilexperimenten zur fiktiven Besetzung der Präsident*innenstelle am Bundesverwaltungsgericht. Ein Teilexperiment testet den Effekt des Hinweises auf eine Frauenquote (vier Vignetten: Geschlecht neutral/weiblich × Quotenhinweis ja/nein), das andere den Effekt des Hinweises auf eine Schwerbehindertenquote (ebenfalls vier Vignetten: Schwerbehinderung neutral/ja × Quotenhinweis ja/nein).
Um die Gefahr sozial erwünschten Antwortverhaltens zu reduzieren, wird im Teilexperiment zur Frauenquote auf eine explizite Nennung des Begriffs „Frau“ oder „weiblich“ verzichtet. Stattdessen ergibt sich das Geschlecht implizit aus einem weiblich gelesenen Namen und einem Foto mit einer weiblich gelesenen Kandidatin. Analog hierzu wird im Teilexperiment zur Schwerbehindertenquote auf eine explizite Nennung der Schwerbehinderung verzichtet und die Schwerbehinderung allein durch ein Foto mit einer Frau im Rollstuhl angedeutet.
Das Bundesverwaltungsgericht wurde gewählt, da es relativ bekannt ist aber seine Besetzungsverfahren im Vergleich zum Bundesverfassungsgericht weniger stark politisch aufgeladen und in der Öffentlichkeit weniger bekannt sind (insbesondere nach dem Streit um die Ernennung von Prof. Dr. Frauke Brosius-Gersdorf), was die Glaubwürdigkeit der Vignette erhöht. Zudem wird angenommen, dass das Bundesverwaltungsgericht aufgrund seiner fachlichen Ausrichtung weitgehend geschlechtsneutral wahrgenommen wird – anders als etwa der Bundesfinanzhof oder das Bundessozialgericht, welche in der laienhaften öffentlichen Wahrnehmung stärker mit männlich bzw. weiblich konnotierten Rollenbildern verbunden sein könnten. So lassen sich vorgefertigte Assoziationen vermeiden. Mithilfe von Kontrollfragen wird kontrolliert, ob die Quotenhinweise und die Schwerbehinderung bzw. die fehlende Schwerbehinderung wahrgenommen wurden. Außerdem wird kontrolliert, ob die neutral dargestellte Person im Rahmen des Frauenquotenexperiments als nicht-weiblich gelesen wurde. Nach Filterung entlang der Hauptvariablen (Qualifikation, Legitimität und persönliche Befürwortung) und Kontrollfragen, bleiben 522 gültige Beobachtungen übrig. Jede teilnehmende Person erhält zufällig genau eine dieser acht Vignetten. Anschließend bewerten die Teilnehmenden, die Qualifikation der in der Vignette dargestellten Person, die Legitimität der Auswahlentscheidung sowie ob sie die Auswahlentscheidung befürworten würden. Eine Reihe soziodemografischer Variablen, dient zur ex-post Kontrolle der Randomisierung sowie zur Untersuchung von Heterogenitätseffekten.
Ergebnisse
Für die Schätzung der Haupteffekte wird jeweils ein Treatment-vs.-Control-Vergleich (Difference-in-Means) durchgeführt. Das heißt im Experiment mit der Frauenquote, werden die beiden Vignetten verglichen, die eine Frau zeigen (einmal mit und einmal ohne Quotenhinweis). Das Gleiche geschieht im Teilexperiment zur Schwerbehindertenquote.
Im Teilexperiment mit dem Hinweis auf eine Frauenquote zeigt sich, dass sich der Quotenhinweis statistisch signifikant positiv auf die wahrgenommene Qualifikation, die Legitimität und die persönliche Befürwortung der Stellenbesetzung mit der weiblichen Kandidatin auswirkt. Der Quotenhinweis wirkt sich somit insgesamt positiv aus, was für das Vorliegen eines positiven Attributionseffekts spricht.
Im Teilexperiment mit dem Hinweis auf eine Schwerbehindertenquote sind die Effekte weniger eindeutig. Zum einen variiert die Richtung der Effekte. So senkt der Hinweis auf die Schwerbehindertenquote die wahrgenommene Qualifikation und Legitimität der Auswahlentscheidung, während gleichzeitig die persönliche Befürwortung steigt. Zum anderen sind alle drei Effekte statistisch insignifikant. Von der statistischen Signifikanz abgesehen, wirkt sich der Quotenhinweis in diesem Fall eher negativ aus, was für die Existenz eines Stigma-Effekts spricht.
Die Ergebnisse des Teilexperiments zur Frauenquote unterscheiden sich nicht statistisch signifikant, wenn man nach Geschlecht der Befragten filtert. Im Teilexperiment zur Schwerbehindertenquote ergibt sich ein signifikant positiver Unterschied mit Blick auf die Qualifikation der Kandidatin. Mit Blick auf Legitimität und persönliche Befürwortung zeigt sich ein positiver Trend, der jedoch nicht statistisch signifikant ist. Zur Absicherung der Robustheit der Ergebnisse wurde die Randomisierung ex-post mittels diverser soziodemografischer Variablen kontrolliert. Hier ergeben sich keine statistisch signifikanten Unterschiede zwischen Treatment und Kontrollgruppe, so dass von einer erfolgreichen Randomisierung ausgegangen werden kann.
Steckbrief
Titel (deutsch): | Stigmatisierungseffekte durch Hinweise auf Fördermaßnahmen bei der Besetzung von Spitzenpositionen |
Titel (englisch): | Stigmatization Effects of Affirmative Action Cues in High-Level Appointments |
Erhebungszeitraum: | 09/2025 |
Stichprobe (effektiv): | 522 |
Stand der Informationen: | 07.10.2025 |