Jungblut, Marc & Meinert, Anea

Die Wirkung verantwortungsbewusster Terrorismusberichterstattung

Journalist:innen sind nach Terroranschlägen mit einem Dilemma konfrontiert: Terrorismus hat einen hohen Nachrichtenwert, jedoch verüben Terrorist:innen Anschläge, damit darüber berichtet wird (Weimann & Winn, 1994). Studien deuten darauf hin, dass Terrorismusberichterstattung einen Fokus auf die Motivationen der Täter:innen, das Leiden der Opfer, sowie den Ablauf der Tat aufweist (Althaus et al., 2018). Zudem identifiziert die Forschung mögliche negative Folgen nicht verantwortungsbewusster Berichterstattung, während die Wirkung verantwortungsbewusster Berichterstattung bisher kaum betrachtet wurde. Ziel dieser Studie ist es, durch eine empirische Analyse zu prüfen, ob normativ wünschenswerte Berichterstattung tatsächlich negative Effekte verhindern kann.

Einen theoriegeleiteten Vorschlag für Eigenschaften verantwortungsbewusster Terrorismusberichterstattung haben Wessler und Kollegen (2022) vorgelegt. Dabei werden sechs Problemfelder der Berichterstattung benannt, die sich zu drei Bündeln von Wirkmechanismen gruppieren lassen. Erstens sollten keine unbestätigten Informationen verbreitet werden (Verifizierung). Zweitens sollten Journalist:innen neutrale Beschreibungen verwenden und mit emotionaler Tonalität sparsam umgehen (Tonalität). Drittens sollten Opfer nicht in bloßstellender Weise dargestellt werden (Opferfokus). Es wird angenommen, dass eine Befolgung diese drei Empfehlungen zu weniger emotionalen Reaktionen (Angst und Wut) und einer schwächeren Wahrnehmung der Bedrohung durch Terrorismus führt (Althaus et al., 2020; Slone, 2000; von Sikorski et al., 2021).

Außerdem empfehlen Wessler und Kollegen (2022), dass Journalist:innen Täter:innenvideos und -manifeste nicht verlinken sowie auf Hintergrundinformationen und die Namensnennung von Täter:innen verzichten (Äußerungschancen) sollten. Zudem sollten die Motive und Ziele von Terrorist:innen mit Hilfe von Expert:innen eingeordnet und Terrorismus als solcher benannt werden (Analyse, Wessler et al., 2022). Die Befolgung der Empfehlungen bezüglich der Problemfelder Äußerungschancen und Analyse sollten sich dabei auf die Einschätzung der Legitimität der Terrorist:innen auswirken (Wessler et al., 2022).

Schließlich empfehlen Wessler und Kollegen (2022) eine klare Differenzierung zwischen den Täter:innen und Outgroups, die aufgrund von geteilten Merkmalen (bsp. Religion, Herkunft oder soziale Gruppe) mit dem Täter:innen unter Generalverdacht geraten könnten. Berichterstattung, die diesen Empfehlungen folgt, sollte weniger negative Bewertungen der Outgroups hervorrufen (von Sikorski et al., 2021).

Methode

Um die Hypothesen zu prüfen, wurde in Deutschland eine experimentelle Online-Befragung im Between-Subject-Design durchgeführt. Es wurden vier multimodale Stimulusvarianten basierend auf tatsächlicher Terrorismusberichterstattung zu einem fiktiven rechtsextremen Terroranschlag konstruiert. Die erste Variante folgt den Empfehlungen in allen sechs Problemfeldern. Die zweite Variante ist problematisch hinsichtlich der Problemfelder Verifizierung, Tonalität und Opferfokus. Die dritte Stimulusvariante ist zusätzlich problematisch hinsichtlich der Problemfelder Analyse und Äußerungschancen. Schließlich ist die vierte Stimulusvariante problematisch hinsichtlich aller sechs Problemfelder. Die üblichen soziodemografischen Kontrollvariablen sowie die politische Orientierung wurden ebenfalls abgefragt. Um unerwünschte negative Einflüsse auf die Befragten im Verlauf der Befragung selbst zu vermeiden, wurde ausführliches Debriefing in den Fragebogen eingebaut.

Ergebnisse

Entgegen dem erwarteten Effekt deuten die Daten darauf hin, dass eine verantwortungsvolle Terrorismusberichterstattung über einen rechtsextremen Terroranschlag bei den Teilnehmer:inen tatsächlich zu mehr Angst und Wut führt als eine nicht verantwortugsbewusste Berichterstattung (in Bezug auf Verifizierung, Tonfall und Opferfokus). Für die wahrgenommene Legitimität, sowie die Bewertung der Outgroup konnte kein signifikanter Effekt festgestellt werden. Grund dafür könnte zum einen im Single-Exposure-Design liegen. Entsprechend der Kultivierungstheorie kann die langfristige Exposition gegenüber sensationeller Berichterstattung die Art und Weise beeinflussen, wie die Zuschauer die Realität wahrnehmen, was möglicherweise zu verstärkten emotionalen Reaktionen führt (Gerbner & Gross, 1976; Jacobs & van Spanje, 2023). Schließlich könnte es sein, dass die Wirkung von Terrorismusberichterstattung weniger ein Medieneffekt ist, sondern durch Ereigniseigenschaften bestimmt wird.

Literatur

Althaus, S., Bajjalieh, J., Ghosh, S., Jungblut, M., Shalmon, D., Agosto Rosa, R., van Atteveldt, W. & Wessler, H. (2018). Framing the Problem of Terrorism across 60 Years of New York Times Coverage: A Preliminary Analysis. Vortrag gehalten bei der Jahrestagung der American Political Science Association, Boston, MA.

Althaus, S., Bajjalieh, J. W., Jungblut, M., Shalmon, D., van Atteveldt, W. & Wessler, H. (2020). Is It Easier to Scare Us or Piss Us Off? The Impact of Terrorist Attacks on News Discourse Across 74 Years of New York Times Reporting. Vortrag gehalten bei der Jahrestagung der International Communication Association Conference (Online).

Gerbner, G., & Gross, L. (1976). Living with Television: The Violence Profile. Journal of Communication, 26(2), 172–199. https://doi.org/10.1111/j.1460-2466.1976.tb01397.x

Jacobs, L., & van Spanje, J. (2023). Who’s Afraid of Terror News? The Interplay between News Consumption Patterns, Personal Experiences and Fear of Terrorism. Mass Communication and Society, 26(3), 486–508. https://doi.org/10.1080/15205436.2022.2026402

Slone, M. (2000). Responses to Media Coverage of Terrorism. Journal of Conflict Resolution, 44(4), 508–522. https://doi.org/10.1177/0022002700044004005

Von Sikorski, C., Matthes, J., & Schmuck, D. (2021). The Islamic State in the news: Journalistic differentiation of Islamist terrorism from Islam, terror news proximity, and Islamophobic attitudes. Communication Research, 48(2), 203-232. https://doi.org/10.1177/0093650218803276

Wessler, H., Althaus, S. L., Chan, C., Jungblut, M., Welbers, K., & van Atteveldt, W. (2022). Multiperspectival Normative Assessment: The Case of Mediated Reactions to Terrorism. Communication Theory, 32(3), 363–386. https://doi.org/10.1093/ct/qtab007

Wolfsfeld, G., (1997). Media and political conflict: News from the Middle East. Cambridge University Press.

Steckbrief

Titel (deutsch): Die Wirkung verantwortungsbewusster Terrorismusberichterstattung
Titel (englisch): The effect of responsible terrorism coverage
Erhebungszeitraum: 10/2024
Stichprobe (effektiv): 1.422
Stand der Informationen: 28.01.2025

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