Ernst, Alicia & Schnauber-Stockmann, Anna

Welche Faktoren tragen zur Wahrnehmung einer autonomen und bereichernden Nutzung sozialer Medien im Alltag bei?

Soziale Mediennutzung ist nahezu immer und überall möglich, sodass natürliche Grenzen der Nutzung verschwinden. Viele Nutzende nehmen ihre Nutzung dadurch oft als unkontrolliert und negativ wahr. Aus der Forschung zu digitalem Wohlbefinden wissen wir, dass das eigene Kontrollempfinden eine zentrale Rolle dafür spielen kann, wie Nutzende ihre Mediennutzung bewerten (Lee & Hancock, 2024; Vanden Abeele et al., 2022). Was bedingt also, dass wir uns bei unserer Nutzung sozialer Medien autonom fühlen und sie als bereichernd empfinden?

Hierzu finden sich verschiedene Ansätze zu Kontrollstrategien in der Literatur: (1) eine bewusste Einschränkung oder eine generelle Reduzierung der Nutzung („Disconnection“; z.B. Nassen et al., 2023; Matthes et al., 2022), (2) das Beenden der Nutzung in bestimmten Situationen („Situatives Disengagement“; Baumgartner & Kühne, 2024), sowie (3) der Versuch algorithmisch ausgewählte Inhalte „zu bändigen“ (Kang & Lou, 2022; Lee et al., 2022). Unser erstes Ziel ist demnach zu untersuchen, inwiefern diese Kontrollstrategien zur allgemeinen Wahrnehmung einer autonomen und bereichernden Nutzung sozialer Medien beitragen.

Da wir damit generelle Tendenzen einer Person abbilden, alltägliche Mediennutzung jedoch stark situativ geprägt ist (Schnauber-Stockmann et al., 2024), beleuchten wir das „Situative Disengagement“ noch einmal näher, auch weil aktuell ein tieferes, wissenschaftliches Verständnis dessen fehlt. Unser zweites Ziel ist es somit, verschiedene Disengagement-Szenarien zu identifizieren und zu beschreiben.

Methode

Mit 256 regelmäßigen Instagram oder TikTok-Nutzenden wurde eine zweiteilige Befragung durchgeführt. Teil 1 bestand aus einer Querschnittsbefragung, in der u.a. erhoben wurde, wie autonom sich eine Person bei ihrer Nutzung von Instagram/TikTok im Allgemeinen fühlt, wie bereichernd sie ihre App-Nutzung empfindet, wie sie ihren Umgang mit Algorithmen betrachtet, in welchen Situationen sie die jeweilige App nicht benutzen möchte und wie selbstkontrolliert sie ist. Die Teilnehmenden beantworteten entweder Fragen zu Instagram oder TikTok. Danach (Teil 2; Experience Sampling-Befragung) wurden alle Personen, die weiter bereit waren teilzunehmen (N = 118), acht Tage lang jeweils kurz nach ihrer TikTok/Instagram-Nutzung per App eingeladen, einen Kurzfragebogen auf dem Handy auszufüllen (max. 6 Mal am Tag). In diesem wurden sie u.a. gefragt, warum sie die Instagram/TikTok geschlossen haben, wie automatisch sie die App geschlossen haben und ob sie sie gern weitergenutzt hätten.

Ergebnisse

Jeweils unter der Berücksichtigung, wie selbstkontrolliert eine Person ist, hatte die Tendenz, die App-Nutzung einschränken zu wollen (1), keinen signifikanten Einfluss auf eine autonom wahrgenommene Nutzung. Personen, die jedoch ihre Nutzung stärker einschränkten, empfangen ihre Nutzung als weniger positiv und bereichernd. Betrachtet man zusammengefasst das situative Beenden von Instagram/TikTok (2), ergab sich kein konsistentes Muster der Schließgründe im Alltag auf die Wahrnehmung einer autonomen und bereichernden Nutzung. Wie häufig jedoch Personen angaben, Instagram/TikTok geschlossen zu haben, obwohl sie gerne die App weitgenutzt hätten, hatte einen negativen Einfluss auf das allgemeine Autonomieempfinden bei der Nutzung. Der Umgang mit Algorithmen (3) stellte sich ebenfalls als weniger relevante Kontrollstrategie heraus. Nur Personen, die der Ansicht waren, ihr Umgang mit Algorithmen verbessere im Allgemeinen ihre Empfehlungen, empfanden ihre Nutzung als bereichernder.

Die Ergebnisse der zweiten Befragung ergaben, dass konkurrierende Aktivitäten, das Erreichen von Zielen und Push-Benachrichtigungen anderer Apps die häufigsten Anreize sind, eine App im Alltag zu schließen. Zudem identifizierten wir fünf Disengagement-Szenarien: unselbstbestimmtes Disengagement, selbstbestimmtes Disengagement, Disengagement durch Prioritätsverschiebungen, vorübergehendes Disengagement und Disengagement ohne bestimmtes Muster. Oftmals tritt Disengagement automatisch auf, angetrieben durch Verschiebungen von Prioritäten oder konkurrierende Aktivitäten. In nur wenigen Situationen war das Schließen der App von negativen Emotionen geprägt.

Literatur

Baumgartner, S. E., & Kühne, R. (2024). Why do users stop pleasurable media experiences? The dynamics of media experiences and their impact on media disengagement. Communication Research, Article 00936502241233017.

Kang, H., & Lou, C. (2022). AI agency vs. human agency: Understanding human–AI interactions on TikTok and their implications for user engagement. Journal of Computer-Mediated Communication, 27(5), zmac014. https://doi.org/10.1093/jcmc/zmac014

Lee, A. Y., & Hancock, J. T. (2023). Social media mindsets: A new approach to understanding social media use and psychological well-being. Journal of Computer-Mediated Communication, 29(1), zmad048. https://doi.org/10.1093/jcmc/zmad048

Lee, A. Y., Mieczkowski, H., Ellison, N. B., & Hancock, J. T. (2022). The algorithmic crystal: Conceptualizing the self through algorithmic personalization on TikTok. Proceedings of the ACM on Human-Computer Interaction, 6(CSCW2), 1–22. https://doi.org/10.1145/3555601

Matthes, J., Karsay, K., Hirsch, M., Stevic, A., & Schmuck, D. (2022). Reflective smartphone disengagement: Conceptualization, measurement, and validation. Computers in Human Behavior, 128, 107078. https://doi.org/10.1016/j.chb.2021.107078

Nassen, L.-M., Vandebosch, H., Poels, K., & Karsay, K. (2023). Opt-out, abstain, unplug. A systematic review of the voluntary digital disconnection literature. Telematics and Informatics, 81, 101980. https://doi.org/10.1016/j.tele.2023.101980

Schnauber-Stockmann, A., Scharkow, M., Karnowski, V., Naab, T. K., Schlütz, D., & Press-mann, P. (2024). Distinguishing person-specific from situation-specific variation in media use: A meta-analysis. Communication Research, Article 00936502241262664. https://doi.org/10.1177/00936502241262664

Vanden Abeele, M. M. P., Halfmann, A., & Lee, E. W. J. (2022). Drug, demon, or donut? Theorizing the relationship between social media use, digital well-being and digital disconnection. Current Opinion in Psychology, 45, 101295. https://doi.org/10.1016/j.copsyc.2021.12.007

Steckbrief

Titel (deutsch): Welche Faktoren tragen zur Wahrnehmung einer autonomen und bereichernden Nutzung sozialer Medien im Alltag bei?
Titel (englisch): Which predictors drive the perception of an autonomous and rewarding use of social media in daily life?
Erhebungszeitraum: 09/2024–10/2024
Stichprobe (effektiv): 256
Stand der Informationen: 27.01.2025

Publikationen

Ernst, A., & Schnauber-Stockmann, A. (2025, June). Won't stop 'til you get enough? Determinants of disengaging from mobile media apps in daily life. 75th Annual Conference of the International Communication Association (ICA), Denver, Colorado.

Weitere Informationen

Profil Alicia Ernst: https://ccs.ifp.uni-mainz.de/team/alicia-ernst-m-a/

Profil Anna Schnauber-Stockmann: https://www.medienstruktur.ifp.uni-mainz.de/anna-schnauber/

Kontakt

E-Mail Alicia Ernst: alicia.ernst@uni-mainz.de

E-Mail Anna Schnauber-Stockmann: anna.schnauber-stockmann@uni-mainz.de

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