Wessler, Hartmut; Müller, Philipp & Gelovani, Shota

Lass uns reden

Die Studie untersucht zum einen, wie Online-Diskussionen technisch und sozial gestaltet sein müssen, um im Diskussionsverlauf das demokratische Zuhören (democratic listening) zwischen den Diskussionsteilnehmenden zu fördern (FF1). Zum anderen wird untersucht, ob demokratisches Zuhören in Online-Diskussionen zu einer anschließenden ideologischen und affektiven Depolarisierung zwischen den Teilnehmenden führt (FF2). Dazu werden mit Hilfe des SoSciPanel Online-Gruppenchats mit Pre- und Post-Surveys veranstaltet, die zum Teil moderiert und zum Teil unmoderiert stattfinden.

Demokratisches Zuhören umfasst dabei laut Scudder (2020) (a) die vertiefte Auseinandersetzung mit Positionen und Perspektiven anderer Bürger:innen, insbesondere wenn diese den eigenen Meinungen zuwiderlaufen, sowie (b) ein Gefühl des Gehörtwerdens aufseiten derjenigen, deren Äußerungen Gegenstand des Zuhörens waren.

In Bezug auf FF1 lautet die Hypothese, dass listening-orientierte Buttons (LOB, z.B. „Danke, dass Du auf meinen Beitrag eingegangen bist“) sowie listening-orientierte Moderation durch menschliche Moderator:innen oder durch KI die Diskussionsqualität in Richtung demokratisches Zuhören verschieben werden. Bei FF2 lautet die Hypothese, dass vertiefte Auseinandersetzung und Gehörtwerden in der Diskussion dazu beitragen, dass die Beteiligten hinterher ideologisch weniger weit auseinanderliegen und sich weniger feindlich gegenüberstehen werden.

Die Studie ordnet sich damit im weitesten Sinne in die Forschung zur Machbarkeit deliberativer Demokratievorstellungen (Wessler 2018) und zu problematischen Formen der diskursiven Polarisierung (Brüggemann & Meyer 2023) ein. Bei der Klärung von FF2 wird zudem untersucht, inwiefern ein großes Sprachmodell (Chat-GPT 4.0) eigenständig Moderationsinterventionen vorschlagen kann, die kontextspezifisch genug sind, um von Diskutierenden akzeptiert zu werden. Mit diesem zusätzlichen Fokus ist die Studie Teil der Forschung über emergente Fähigkeiten künstlicher Intelligenz.

Methode

Nach einem Pre-Survey werden die Teilnehmenden auf einer experimentellen Online-Diskussionsplattform in drei Experimentalkonditionen und einer Kontrollkondition miteinander diskutieren, bevor sie zum Post-Survey weitergeleitet werden.

Zwischen Pre-Survey und Online-Diskussion liegt ein Zeitraum von ca. 3-4 Tagen. Als Kovariate werden im Pre-Survey die individuellen Dispositionen der Teilnehmenden erfasst, unter anderem ihre Zuhörfähigkeiten und -stile (Rinke & Moy 2018), ihre Einstellungen zur demokratischen Reziprozität (Argyle et al. 2023), ihre politischen Einstellungen und ihre Social-Media-Nutzung, sowie soziodemographische Daten. Diese Kovariate können als latente Prädiktoren für den Depolarisationsprozess auf individueller Ebene dienen.

Nach der Diskussion füllen die Teilnehmenden einen Post-Survey aus, in dem sie ihre politischen und affektiven Einstellungen erneut angeben, um Vorher/nachher-Vergleiche zu ermöglichen, sowie Rückmeldung über die Diskussion geben.

Ergebnisse

Je extremer die Teilnehmenden in ihren Überzeugungen zum Thema Fleischkonsum waren, desto mehr tendierten sie zu einer zuhörorientierten Diskussionsart. Ideologisch rechte Positionierung und Alter sind statistisch signifikant mit mangelndem Zuhören korreliert, wenn das Zuhören binär operationalisiert wird. Die Teilnehmenden mit Abitur hatten hingegen eine erhöhte Wahrscheinlichkeit, zuzuhören, im Vergleich mit den Teilnehmenden ohne Abitur.

In der Vorbefragung gezeigte extremere Ansichten sind mit ideologischer Depolarisierung statistisch signifikant korreliert. Extremität der ideologischen Position, analytischer Zuhörstil und kritischer Zuhörstil sind alle mit affektive Depolarisierung korreliert.

Was die Wirkung der experimentellen Manipulationen angeht: Die entweder von den menschlichen Moderator*innen oder von der KI moderierte Diskussionsgruppen haben eine statistisch signifikant höhere Wahrscheinlichkeit erwiesen, Zuhören zu demonstrieren. Zwischen den beiden unmoderierten und den beiden moderierten Konditionen gab es diesbezüglich keine statistisch signifikanten Unterschiede.

Literatur

Argyle, L. P., Bail, C. A., Busby, E. C., Gubler, J. R., Howe, T., Rytting, C., ... & Wingate, D. (2023). Leveraging AI for democratic discourse: Chat interventions can improve online political conversations at scale. Proceedings of the National Academy of Sciences, 120(41).

Brüggemann, M., & Meyer, H. (2023). When debates break apart: discursive polarization as a multi-dimensional divergence emerging in and through communication. Communication Theory, 33(2-3), 132-142.

Rinke, E. M., & Moy, P. (2018). Political correlates of apophatic and cataphatic listening styles. SocArXiv. Paper to be presented at the annual meeting of the American Political Science Association, Boston, MA

Scudder, M. F. (2020). Beyond empathy and inclusion: The challenge of listening in democratic deliberation. Oxford University Press.

Wessler, H. (2018). Habermas and the Media. John Wiley & Sons.

Steckbrief

Titel (deutsch): Lass uns reden
Titel (englisch): Let's Talk
Erhebungszeitraum: 05/2024–06/2024
Stichprobe (effektiv): 640
Stand der Informationen: 14.01.2025

Weitere Informationen

https://transformativecommunication.net/en/research-projects/depolarizing-public-debates/lass-uns-reden-plattform/

Kontakt

gelovani@uni-mannheim.de

© 2009-2025 SoSci Panel