Detzel, Malou

Permanently online, permanently working

Entstehung und Folgen einer arbeitsbezogenen Online-Vigilanz im Kontext der erweiterten Erreichbarkeit für berufliche Kommunikation

In der heutigen Gesellschaft herrscht die Norm, ständig erreichbar zu sein (Vorderer et al., 2018). Gleichzeitig wird der Ruf nach einer Verringerung der Arbeitszeiten und einer besseren Work-Life-Balance in der Arbeitswelt lauter, wie etwa die Debatte über die Abschaffung der 40-Stunden-Woche zeigt. Dies führt zu einem Konflikt zwischen der Erwartung, außerhalb der regulären Arbeitszeiten für berufliche Belange erreichbar zu sein und dem Streben nach Flexibilität sowie der Trennung von Arbeit und Privatleben, sodass die Arbeit an Zentralität im Leben verliert. Die vorliegende Studie untersucht diesen Konflikt mit dem Ziel, den Umgang von Berufstätigen mit der erweiterten arbeitsbezogenen Erreichbarkeit zu verstehen und deren Auswirkungen auf das Wohlbefinden zu analysieren.

Erweiterte arbeitsbezogene Erreichbarkeit bezieht sich auf „die unregulierte Verfügbarkeit der Beschäftigten für berufliche Belange außerhalb der regulären Arbeitszeiten“ (Koch, 2022, S. 6). Berufstätige haben dabei oft das Gefühl, selbst entscheiden zu können, wann sie erreichbar sind. Dies ermöglicht die gewünschte Flexibilität, bringt aber auch gesteigerte Erwartungen und ein gewisses Pflichtgefühl oder Zwang mit sich (Villadsen, 2016). Nach dem Job Demands and Resource Model kann sich die erweiterte arbeitsbezogene Erreichbarkeit sowohl negativ als auch positiv auf die Berufstätigen auswirken (Sonnentag, 2018). Diesem paradoxen Potenzial widmet sich die vorliegende Studie, indem sie die Konsequenzen der beruflichen Kommunikation in der Freizeit auf die Arbeits- und Lebensqualität untersucht. In der Literatur werden verschiedene Einflussfaktoren betrachtet, um den Wirkprozess zu verstehen. Diese Studie zielt darauf ab, die bisherige Forschung zu vereinen und die komplexen Zusammenhänge umfassend zu beleuchten.

Methode

Eine Online-Befragung von Berufstätigen zu ihrer erweiterten arbeitsbezogenen Erreichbarkeit soll Erkenntnisse über die Kommunikation außerhalb regulärer Arbeitszeiten sowie deren Auswirkungen liefern. Der Fragebogen besteht aus etablierten und eigens formulierten Skalen.

Im ersten Teil werden das allgemeine Vorkommen, die Häufigkeit und die Dauer der erweiterten arbeitsbezogenen Erreichbarkeit erfasst. Die Wahrnehmung der Erreichbarkeit wurde anhand der Literatur zum Job Demands and Resource Model operationalisiert. Zusätzlich werden die Erwartungshaltung sowie das Gleichgewicht zwischen beruflicher und privater Kommunikation untersucht. Ein weiterer Bestandteil des ersten Teils ist die auf den Arbeitskontext angepasste Online Vigilance Scale.

Im zweiten Teil werden anhand etablierter Skalenitems die Integrationspräferenz, die psychologische Distanz zur Arbeit, der Work-Life-Konflikt, das Commitment sowie verschiedene Faktoren des persönlichen und beruflichen Wohlbefindens gemessen.

Ergebnisse

Die Ergebnisse zeigen zunächst, dass die meisten Berufstätigen selten bis gelegentlich in ihrer Freizeit von der Arbeit kontaktiert werden. Die Kontaktaufnahme ist dabei tendenziell eher fremdbestimmt und wird weniger von den Personen selbst initiiert. Auf einen Kontaktversuch reagiert in etwa die Hälfte oft bis sehr oft. Eine solche berufliche Kommunikation in der Freizeit dauert im Schnitt rund 14 Minuten. Pro Woche sind die Berufstätigen rund eine Stunde mit der arbeitsbezogenen erweiterten Erreichbarkeit (AEE) beschäftigt. Dabei findet die AEE am häufigsten nach Feierabend statt. Nur wenige berichten, im Urlaub für die Arbeit erreichbar zu sein. Selten bis gelegentlich wird auch vor Arbeitsbeginn, am Wochenende und an Feiertagen oder während einer Krankmeldung beruflich kommuniziert. Ein Unterschied aufgrund des Alters, der Bildung oder des Geschlechts zeigt sich bei der AEE nicht. Selbstständigkeit, Führungsverantwortung, Nebentätigkeiten und längere Arbeitszeiten begünstigen diese hingegen. Die AEE ist im Schnitt über alle Befragten hinweg mittelstark ausgeprägt.

Die inkonsistente Kommunikation zeigt sich allerdings nicht nur in der Freizeit, auch während der Arbeitszeit werden von fast 90 Prozent der Befragten private Kontakte gepflegt. Im Schnitt wird wahrgenommen, dass ein Gleichgewicht zwischen der beruflichen Kommunikation in der Freizeit und der privaten Kommunikation in der Arbeitszeit besteht. Bezüglich der Wahrnehmung zeigt sich auch, dass die Berufstätigen die AEE neutral bewerten. Sie erachten diese im Schnitt weder als besonders nützlich noch besonders hinderlich im Arbeitsalltag. Die Befragten berichten tendenziell eher nicht davon, dass eine AEE von ihnen erwartet wird. Eine wahrgenommene Erwartungshaltung steht jedoch in positivem Zusammenhang mit der AEE.

Die Untersuchung der Folgen der AEE zeigt, dass Berufstätige durch diese eine permanente Wachsamkeit für die berufliche Kommunikation entwickeln (arbeitsbezogene Online-Vigilanz). Je stärker die AEE ausgeprägt ist, desto häufiger denken Berufstätige an die berufliche Kommunikation (Salienz), haben stärker das Bedürfnis diese zu überwachen (Monitoring) und schnell auf Kontaktversuche zu reagieren (Reaktionsfähigkeit). Diese Wachsamkeit verschlechtert wiederum das Wohlbefinden der Befragten, indem sich ihre Lebenszufriedenheit verringert, sowie ihr Stressniveau und die emotionale Erschöpfung erhöht. Zusätzlich beeinflusst die anhaltende kognitive Beschäftigung mit der AEE das berufliche Engagement negativ, wohingegen das Monitoring einen positiven Einfluss auf das Engagement hat.

Die Zusammenhänge zwischen der arbeitsbezogenen Online-Vigilanz und dem Wohlbefinden werden durch drei Faktoren vermittelt. Die Wachsamkeit führt dazu, dass sich die psychologische Distanz sowie die emotionale Verbundenheit zum Unternehmen verringert und der Konflikt zwischen Arbeit und Privatleben stärker wird. Dies geht wiederum mit negativen Konsequenzen für das Wohlbefinden einher.

Abschließend lässt sich sagen, dass die Untersuchung kaum positive Potenziale der AEE identifizieren konnte. Lediglich moderierende Faktoren wie das Gefühl der Ausgeglichenheit der inkonsistenten Kommunikation und die wahrgenommene Nützlichkeit der AEE können die negativen Folgen teilweise abmildern, aber nicht vollständig aufheben. Einschränkend gilt jedoch zu erwähnen, dass aufgrund des Untersuchungsdesigns keine Kausalzusammenhänge bestätigt werden können. Zusammenfassend zeichnen die Ergebnisse eher ein negatives Bild der AEE und verdeutlichen die Dringlichkeit für Unternehmen, sich mit diesem Kommunikationsphänomen auseinanderzusetzen, um die negativen Auswirkungen auf das Wohlbefinden und die Leistungsfähigkeit der Beschäftigten zu minimieren.

Literatur

Koch, E. (2022). Always on, never done? Arbeitsbezogene erweiterte Erreichbarkeit: Ursachen, Umgang und Gestaltungsansätze am Beispiel von Kommunikationsagenturen. Corporate Communications Journal, 7(2), 6–11. https://doi.org/10.48769/opus-3591

Sonnentag, S. (2018). Being Permanently Online and Being Permanently Connected at Work: A Demands–Resources Perspective. In P. Vorderer, D. Hefner, L. Reinecke & C. Klimmt (Hrsg.), Permanently online, permanently connected: Living and communicating in a POPC world (S. 244–253). Routledge.

Villadsen, K. (2016). Constantly online and the fantasy of ‘work–life balance’: Reinterpreting work-connectivity as cynical practice and fetishism. Culture and Organization, 23(5), 363–378. https://doi.org/10.1080/14759551.2016.1220381

Vorderer, P., Hefner, D., Reinecke, L. & Klimmt, C. (2018). Permanently Online and Permanently Connected: A New Paradigm in Communication Research? In P. Vorderer, D. Hefner, L. Reinecke & C. Klimmt (Hrsg.), Permanently online, permanently connected: Living and communicating in a POPC world (S. 3–9). Routledge.

Steckbrief

Titel (deutsch): Permanently online, permanently working: Entstehung und Folgen einer arbeitsbezogenen Online-Vigilanz im Kontext der erweiterten Erreichbarkeit für berufliche Kommunikation
Titel (englisch):
Erhebungszeitraum: 06/2024
Stichprobe (effektiv): 1.013
Stand der Informationen: 19.10.2024

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