Gesellschaftlicher Wandel und Vermächtnis
eine psychologische Untersuchung von Werten, Transformationsbereitschaft und Vermächtnismotiven
Welche Möglichkeiten individuellen Verhaltens werden als besonders relevant für einen nachhaltigen Gesellschaftswandel eingeschätzt? Es gibt viele Wege, sich einzubringen, von der Unterstützung politischer Maßnahmen bis zur eigenen Ernährung und Mobilität. Psychologisch interessant ist, welche Verhaltensoptionen als besonders wirkungsvoll eingeschätzt werden und ob diese Einschätzungen mit der objektiven Wirkung übereinstimmen. Besonders im Bereich Energiesparen zeigten Studien (Gardner & Stern, 1981), dass es zu Fehleinschätzungen kam, die jedoch im Laufe der Zeit abnahmen. Unsere Studie legt den Fokus auf Beiträge zum gesellschaftlichen Wandel.
Wir beleuchten das Konzept der "Transformationsbereitschaft" (TB) und setzen es in Zusammenhang mit dem menschlichen Motiv, ein gutes Vermächtnis zu hinterlassen. Aufbauend auf bisherigen Studien mit Blick in die Zukunft (de Paula Sieverding et al., 2024; 2023) betrachten wir auch das Vermächtnismotiv auch in Bezug zur menschlichen Vergangenheit und den Wunsch, die menschliche "Erfolgsgeschichte" weiterzuschreiben.
Zusätzlich untersuchen wir, wie persönliche Werte mit der TB zusammenhängen. Anknüpfend an die Forschung (Matthies et al., 2023, Blöbaum et al., 2023) möchten wir solidarische Werte und Offenheit gegenüber Veränderungen im Zusammenhang mit TB beleuchten. Dies ermöglicht neue Erkenntnisse darüber, welche Werte besonders wichtig für das Anstoßen größerer Veränderungen sind.
Schließlich untersuchen wir, ob Menschen mit höherer TB eine höhere Lebensqualität erfahren. Dieser Zusammenhang wurde bereits für Lebensqualität und nachhaltiges Engagement festgestellt, sollte aber noch differenzierter untersucht werden.
Durch diese Forschungsansätze hoffen wir, ein umfassendes Verständnis für die Bedeutung der Transformationsbereitschaft und ihre Auswirkungen im individuellen Lebenskontext zu gewinnen.
Methode
(1) relevante Verhaltensmöglichkeiten: Teilnehmende bewerten Verhaltensoptionen mit objektiv niedriger/hoher Wirkung (Impact, nach Kaiser, 2020 und Wynes & Nicholas, 2017). Die Auswertung fokussiert auf deskriptive Statistiken, insbesondere Mittelwerte.
(2) Tieferes Verständnis der Transformationsbereitschaft (TB): Welche "zeitliche Richtung" des Vermächtnismotiv (Menschheitsgeschichte fortführen vs. zukünftigen Generationen Gutes hinterlassen) ist relevant? Wir nutzen ein etabliertes Maß (Zaval et al., 2015) zur Kontrolle. Unterschiedliche zeitliche Gewichtungen werden getrennt analysiert.
(3) Rolle von Werten für TB: Werte werden mit etablierten Maßen (Kastner, 2021; Oreg, 2003; Stern, Diez & Guagnano, 1999) abgefragt und faktorenanalytisch auf Überschneidungen geprüft. Regressionsanalysen zeigen, welche Werte starke statistische Zusammenhänge mit TB haben.
(4) Auswirkungen von TB auf Lebensqualität: Lebensqualität wird mit etablierten Maßen (Kastner, 2021) gemessen. Regressionsanalysen untersuchen den statistischen Zusammenhang zwischen TB und Lebensqualität.
Ergebnisse
In unserem Forschungsvorhaben sollten grundsätzlich vier Fragestellungen untersucht werden:
1. Die Relevanz individueller Verhaltensweisen für den gesellschaftlichen Wandel (Transformation) zur Nachhaltigkeit: Zur Bewältigung der Klimakrise brauche es grundlegende Veränderungen in der Art wie wir leben und wirtschaften. Dieser Wandel wird als sozial-ökologische Transformation beschrieben. Viele Möglichkeiten bestehen, sich in diese Transformation einzubringen, von der Unterstützung entsprechender gesellschaftlicher Prozesse und Maßnahmen bis zur Wahl des privaten Ernährungsstils oder von Verkehrsmitteln. Psychologisch interessant ist, welche Verhaltensoptionen als besonders wirkungsvoll für einen solchen die ganze Gesellschaft betreffenden Wandel eingeschätzt werden. Unsere Studie zeigt, dass besonders sichtbare individuelle Verhaltensweisen wie die Vermeidung von Lebensmittelverschwendung als sehr bedeutsam angesehen werden, während gesellschaftlich diskutierte Maßnahmen wie der Verzicht auf das Auto oder Teilnahme an Klimaschutzdemos weniger relevant eingeschätzt werden. Dieses Ergebnis ist im Einklang mit bisherigen Studien. Dennoch überrascht, dass selbst mit Fokus auf den gesellschaftlichen, nicht den individuellen Wandel, Maßnahmen eine höhere Bedeutung zugesprochen wird, die sich nur im privaten Bereich abspielen.
2. Transformationsbereitschaft und das Vermächtnismotiv: Mit einem neuen Instrument erfassten wir verschiedene Denkmuster, die das Motiv, nach dem eigenen Leben ein gutes Vermächtnis zu hinterlassen, genauer einordnen helfen sollte. Besonders interessierte uns, ob es einen Unterschied macht, "Vermächtnis" als Fortführung einer erfolgreichen Menschheitsgeschichte oder als Schaffung einer guten Zukunft für kommende Generationen zu begreifen. Unsere Ergebnisse zeigen, dass ein hohes Vermächtnismotiv statistisch positiv mit der Transformationsbereitschaft zusammenhängt. Das bedeutet, dass Personen, denen es wichtig ist, etwas Positives für die nachfolgenden Generationen zurückzulassen, den gesellschaftlichen sozial-ökologischen Wandel stärker unterstützen. Zudem deutet sich an, dass die Orientierung an der Fortführung der Menschheitsgeschichte weniger stark mit transformationsrelevanten Aspekten zusammenhängt als die Orientierung am Wohl zukünftiger Generationen. Diese Ergebnisse bedürfen jedoch einer ausführlicheren Interpretation und weiteren Studien.
3. Rolle von Werten für die Transformationsbereitschaft: Wir untersuchten den Zusammenhang persönlicher Werte mit der Transformationsbereitschaft. Aufbauend auf Forschung zu Umwelt/Natur-bezogenen Werten und deren Zusammenhang mit der Akzeptanz klimapolitischer Maßnahmen, fokussierten wir uns auf solidarische Werte und Offenheit gegenüber Veränderungen. Unsere Ergebnisse zeigen, dass solidarische Werte statistisch positiv mit der Transformationsbereitschaft zusammenhängen, was neue Erkenntnisse darüber liefert, welche Werte besonders bedeutsam für größere Veränderungen sind. Je wichtiger man solidarische Werte für sein Leben findet, desto eher ist man auch bereits zum gesellschaftlichen Wandel beizutragen.
4. Auswirkungen von Transformationsbereitschaft auf die Lebensqualität: Abschließend untersuchten wir, ob Menschen, die Veränderungen unterstützen oder selbst angehen, eine höhere Lebensqualität erfahren. Dieser Zusammenhang wurde bereits für Lebensqualität und nachhaltiges Engagement festgestellt, sollte aber differenzierter untersucht werden. Unsere Ergebnisse zeigen, dass dieser Zusammenhang in unserer Untersuchung nicht bestätigt werden konnte. Weitere Studien sind nötig, um diesen Aspekt genauer zu beleuchten.
Literatur
Blöbaum, A., Engel, L., Beer, K., Böcher, M. & Matthies, E. (2023): Nature Conservation versus Climate Protection: A Basic Conflict of Goals Regarding the Acceptance of Climate Protection Measures? Frontiers in Psychology, 14, 1114677. https://doi.org/10.3389/fpsyg.2023.1114677
de Paula Sieverding, T., Merten, M., & Kastner, K. (2023). Old for young: Cross-national examination of intergenerational political solidarity. Group Processes & Intergroup Relations, 13684302231201785. https://doi.org/10.1177/13684302231201785
de Paula Sieverding, T., Kulcar, V. & Schmidt, K. (2024). Act like There Is a Tomorrow—Contact and Affinity with Younger People and Legacy Motivation as Predictors of Climate Protection among Older People. Sustainability, 16(4), 1477. https://doi.org/10.3390/su16041477
Stern, P. C., & Gardner, G. T. (1981). Habits, hardware, and energy conservation. American Psychologist, 36(4), 426–428. https://doi.org/10.1037/0003-066X.36.4.426
Kastner, K. (2021). Solidarische Lebensqualität: Zum psychologischen Verständnis von Solidarität und ihrer Rolle für Transformationsengagement und Lebensqualität. http://dx.doi.org/10.25673/64264
Matthies, E., de Paula Sieverding, T., Engel, L., & Blöbaum, A. (2023). Simple and Smart: Investigating Two Heuristics That Guide the Intention to Engage in Different Climate-Change-Mitigation Behaviors. Sustainability, 15(9), 7156. https://doi.org/10.3390/su15097156
Kaiser, F. G. (2020). GEB-50. General Ecological Behavior Scale [Verfahrensdokumentation, Fragebogen deutsch und englisch]. In Leibniz-Institut für Psychologie (ZPID) (Hrsg.), Open Test Archive. Trier: ZPID.
https://doi.org/10.23668/psycharchives.3453
Oreg, S. (2003). Resistance to change: Developing an individual differences measure. Journal of applied psychology, 88(4), 680.
Stern, P. C., Dietz, T., Abel, T., Guagnano, G. A., & Kalof, L. (1999). A value-belief-norm theory of support for social movements: The case of environmentalism. Human ecology review, 81-97.
Wynes, S., & Nicholas, K. A. (2017). The climate mitigation gap: education and government recommendations miss the most effective individual actions. Environmental Research Letters, 12(7), 074024.
Steckbrief
Titel (deutsch): | Gesellschaftlicher Wandel und Vermächtnis - eine psychologische Untersuchung von Werten, Transformationsbereitschaft und Vermächtnismotiven |
Titel (englisch): | Social Change and Legacy - a Psychological Study of Values, Willingness to Transform and Legacy Motives |
Erhebungszeitraum: | 03/2024 |
Stichprobe (effektiv): | 299 |
Stand der Informationen: | 27.06.2024 |
Kontakt
Karen Kastner, karen.kastner@ovgu.de