Josupeit, Christina

Der soziale Einfluss auf den Umgang mit Online Hate Speech in privaten Chatgruppen

Das Promotionsprojekt befasst sich mit dem Umgang mit Online Hate Speech in privaten Chatgruppen am Beispiel rassistischer Memes. Dem deutschsprachigen Diskus entsprechend wird Hate Speech definiert als Ausdruck gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit (Sponholz 2018). In der vorliegenden Studie wird untersucht, ob und inwiefern die individuelle Verhaltensreaktion auf Online Hate Speech auf Gruppendynamiken innerhalb des Chats zurückzuführen ist. Konkret geht es dabei um die grundlegende Entscheidung, ob auf die Hate Speech reagiert wird bzw. werden soll – oder gar nicht. Es stellt sich übergreifend die Frage, ob klassische konformitätsbezogene Theorien und Arbeiten der Sozialpsychologie auf die entsprechende Situationen in privaten Gruppenchats angewandt werden können.

Theoretisch bezieht sich die Arbeit auf die Theory of Normative Conduct nach Cialdini et al. (1991) und der Bedeutung deskriptiver Normen bzw. des informativen sozialen Einflusses (Deutsch & Gerard, 1955). Demnach orientieren sich Individuen unter bestimmten Bedingungen an der Verhaltensmehrheit; in Notsituationen, in denen niemand handelt, führt dieser Effekt zu pluralistischer Ignoranz (Latané & Darley, 1970). Diese Überlegungen werden verbunden mit der Social Impact Theory nach Latané (1981), wonach die Bedeutsamkeit und die zeitliche bzw. räumliche Nähe zur Gruppe den sozialen Einfluss und damit konformes Verhalten erst initiieren bzw. verstärken. Eine zu prüfende Annahme ist folglich, dass sich Individuen bei der Konfrontation mit Hate Speech an der Verhaltensmehrheit orientieren und dass der Social Impact der Gruppe diesen Effekt verstärkt.

Gleichzeitig wird angenommen, dass ein möglicher Faktor des Social Impacts, nämlich die persönliche Nähe zur Gruppe, grundsätzlich die Bereitschaft erhöht, sich mit der Hate Speech offen auseinanderzusetzen. Bisher weisen vor allem qualitative Studien auf diesen Effekt hin (Josupeit 2023, Kromer 2021, Gagrčin 2022). Er soll nun experimentell geprüft werden.

Methode

Die zentrale Annahme wird mittels eines online durchgeführten Vignetten-Experiments im between-subjects-Design geprüft. Die Teilnehmer*innen werden gebeten, sich vorzustellen, Teil einer Chatgruppe zu sein. Dabei werden sie zufällig entweder einer Gruppe mit niedrigem oder einer Gruppe mit hohem sozialem Einfluss (Fremde, ohne baldiges Treffen vs. Freunde, mit baldigem Treffen) zugeteilt. Die Teilnehmer*innen verfolgen anschließend mittels Screenshots einem Gespräch im Chat, in welchem verschiedene Bilder, zuletzt ein rassistisches Meme geteilt werden. Nachfolgend für die Verhaltensmehrheit varriiert: Entweder niemand, alle oder die Hälfte der Gruppe kommentiert das rassistische Bild. Die Teilnehmer*innen werden jeweils gebeten anzugeben, wie Sie selbst reagieren würden. Dabei werden ihnen verschiedene Optionen zur Verfügung gestellt. Im Mittelpunkt der Auswertung stehen verschiedene Formen der Varianzanalyse, sofern die statistischen Voraussetzungen dafür vorliegen.

Ergebnisse

Die folgende Ergebnisdarstellung basiert auf der Analyse einfacher Modelle ohne Kovariaten.

Der theoretisch vermutete Einfluss der Verhaltensmehrheit auf den Umgang mit dem rassistischen Meme konnte nicht nachgewiesen werden. Die Untersuchung konnte damit nicht bestätigen, dass deskriptive Normen bei der eigenen Handlungsentscheidung eine wesentliche Rolle spielen. Auch konnte kein Interaktionseffekt zwischen der Verhaltensmehrheit und dem Social Impact der Gruppe festgestellt werden. Das bedeutet, dass die Bedeutsamkeit der Gruppe im Hinblick auf die Übernahme der deskriptiven Norm nicht - wie angenommen - verstärkend wirkt.

Lediglich der Social Impact selbst - operationalisiert über die hypothetisch beschriebene persönliche Nähe des Befragten zur Gruppe - hat einen direkten (kleinen) Effekt auf die Handlungsentscheidung: Befragte, die der Freundes-Gruppe zugeordnet waren, tendieren eher dazu, einen Kommentar zu versenden und weniger dazu, die Gruppe zu verlassen, als Befragte aus der Fremden-Gruppe.

Mögliche Kovariaten wie die Bewertung rassistischer Memes werden noch geprüft.

Insgesamt weisen die bisherigen Ergebnisse darauf hin, dass die im Experiment aufgenommenen Faktoren wenig zur Erklärung des Verhaltens bei der Konfrontation mit Online Hate Speech beitragen. Dementsprechend ist kritisch zu hinterfragen, ob informativer sozialer Einfluss in Chatgruppen eine wesentliche Rolle spielt, oder ob nicht persönliche Verhaltensnormen ausschlaggebener sind. Auch theoretisch ist durchaus nachvollziehbar, dass die digital-bedingte räumliche Trennung den Einfluss sozialer Normen reduziert - zum Beispiel, weil sie über das Fehlen eines direkten Feedbacks über soziale Hinweisreize nicht eindeutig wahrnehmbar sind. Mit Blick auf die ausgewählte Methode ist jedoch zu berücksichtigen, dass es generell schwierig ist, sozialen Druck über eine hypothetische Situationsbeschreibung zu erzeugen. Dazu gehört auch, dass vermutlich durch die Operationalisierung des Social Impacts über die persönliche Nähe zur Gruppe individuelle Vorerfahrungen und Geflogenheiten und damit unbekannte Faktoren in die Verhaltensentscheidung eingeflossen sind. So wurde zum Beispiel die in der Freundes-Gruppe ggf. vorhandene soziale Norm über den Umgang mit rassistischen Kommentaren nicht erfasst.

Literatur

Cialdini, R. B., Reno, R. R., & Kallgren, C. A. (1990). A focus theory of normative conduct: Recycling the concept of norms to reduce littering in public places. Journal of Personality and Social Psychology, 58(6), 1015–1026. https://doi.org/10.1037/0022-3514.58.6.1015

Deutsch, M., & Gerard, H. B. (1955). A study of normative and informational social influences upon individual judgement. Journal of Abnormal Psychology, 51(3), 629–636. https://doi.org/10.1037/h0046408

Gagrčin, E. (2022). Your social ties, your personal public sphere, your responsibility: How users construe a sense of personal responsibility for intervention against uncivil comments on Facebook. New Media & Society. https://doi.org/10.1177/14614448221117499

Josupeit, C. (2023). Was beeinflusst unseren Umgang mit Online Hate Speech? MedienPädagogik: Zeitschrift Für Theorie Und Praxis Der Medienbildung, 87–114. https://doi.org/10.21240/mpaed/jb19/2023.03.04.X

Kromer, I., Atzmüller, C., & Zartler, U. (2021). Wegschauen oder helfen? Zivilcouragiertes Handeln unter Jugendlichen im Internet. In F. Berger (Ed.), Schriftenreihe der ÖFEB-Sektion Sozialpädagogik: Vol. 6. Jugend – Lebenswelt – Bildung: Perspektiven für die Jugendforschung in Österreich. Verlag Barbara Budrich

Latané, B., & Darley, J. M. (1970). The unresponsive bystander: Why doesn't he help? Prentice-Hall.

Latané, B. (1981). The psychology of social impact. American Psychologist, 36(4), 343-356. https://doi.org/10.1037/0003-066X.36.4.343

Sponholz, L. (2018). Hate Speech in den Massenmedien. Theoretische Grundlagen und empirische Umsetzung. Wiesbaden: Springer Fachmedien Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-15077-8

Steckbrief

Titel (deutsch): Der soziale Einfluss auf den Umgang mit Online Hate Speech in privaten Chatgruppen
Titel (englisch): Social influence on dealing with online hate speech in private chat groups
Erhebungszeitraum: 10/2023
Stichprobe (effektiv): 1.090
Stand der Informationen: 31.01.2024

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