Spreen, Nico

Politisch motiviertes Informationsmanagement

Anwendung der Theorie des motivierten Informationsmanagements auf die Informationssuche und -vermeidung über Populismus

Das Informationsverhalten der Bürger:innen gilt als wichtige Determinante der Meinungsbildung sowie der politischen Partizipation (vgl. Schulz, 2011). Dennoch befassen sich kaum Studien in der politischen Kommunikation mit der Motivation hinter der Entscheidung für eine Suche oder Vermeidung. Die Forschung ist stark auf die Suche als Prädikator für die politische Partizipation begrenzt (Kahlor et al., 2018, S. 702) oder erfolgt anhand von reinen Nutzungsstudien ohne differenziertere Betrachtung.

Mittels der Theory of Motivated Information Management (kurz TMIM; Afifi & Weiner, 2004; Afifi & Morse, 2009) wurde der kognitive Prozess hin zur Suche und Vermeidung untersucht. Ausgelöst durch einen Unterschied zwischen dem aktuellen sowie dem erwünschten Wissensstand (Unsicherheitsdiskrepanz) bezüglich eines wichtigen Themas postuliert die TMIM, dass je nach Interpretation eine emotionale Reaktion erfolgt(Interpretation). Somit löst der Umstand, dass man entweder mehr Informationen über ein Thema haben möchte oderweniger darüber wissen will, eine Emotion aus. In dieser Arbeit werden die Emotionen Angst, Wut, Hoffnung und Begeisterung als Reaktion vermutet (H1), da diese einen bedeutenden Einfluss auf das politische (Informations-)Verhalten haben (Hoewe & Parrott, 2019).

Ausgehend von dieser emotionalen Reaktion wird vermutet, dass eine Bewertung des erwarteten Ergebnisses sowie der Fähigkeiten einer Person das Verhalten erfolgreich durchzuführen und mit den Informationen umgehen zu können, erfolgt (Evaluation). Je nach Interpretation und Evaluation mündet dieser Prozess des Informationsmanagements in die Entscheidung zur Suche oder Vermeidung politischer Informationen (Entscheidung). Letztendlich wird angenommen, dass sich die Emotionen direkt und indirekt über die Ergebnis- sowie Wirksamkeitserwartungen auf die politische Informationssuche (H2) und -vermeidung (H3) auswirken (Afifi & Weiner, 2004; Afifi & Morse, 2009).

Methode

Eine Online-Befragung soll die Motivation zur Suche und Vermeidung im Rahmen der TMIM untersuchen. Als Inhalt politischer Information wird die Populismus-Debatte in Deutschland aufgegriffen, um so das aktuell emotional geladene Thema Corona in der Politik sowie dem Wahlkampf zur Bundestagswahl zu vermeiden. Nachdem Kontextvariablen (Einstellung, Verhalten, Partizipation etc.) abgefragt werden, wird mittels einer kurzen Beschreibung in den Inhalt der Debatte eingeführt und im Anschluss die Konstrukte der TMIM abgefragt. Die Analyse erfolgt mittels einem zweifachen Mediationsmodell.

Ergebnisse

Die Leistung des TMIM zur Erklärung sowohl der politischen Informationssuche als auch der Informationsvermeidung war zufriedenstellend. Seine Anwendung auf die Medienkommunikation, vor allem aber auf die politische Kommunikation, kann daher als fruchtbar bezeichnet werden. Allerdings war nicht jeder vorhergesagte Pfad signifikant und die indirekten Pfade waren sehr schwach. Insbesondere die Mediationen über die Ergebniserwartungen konnten für die politische Informationssuche und -vermeidung nicht unterstützt werden. Als Mediatoren der Zusammenhänge zwischen negativen und positiven, durch Unsicherheit ausgelösten Emotionen und der Informationsmanagementstrategie erwiesen sich die verschiedenen Wirksamkeitsbewertungen. Insgesamt steht die situationsabhängige Rolle der verschiedenen Arten von Wirksamkeitsbewertungen und die Frage, ob Ergebniserwartungen oder Wirksamkeitserwartungen einflussreicher sind, im Einklang mit der bisherigen Forschung zur TMIM, die heterogene Ergebnisse zur Stärke der individuellen Prädiktoren zeigt (siehe z. B. Afifi & Morse, 2009). Diese Unterschiede sollten vor dem Hintergrund interpretiert werden, dass sich die Relevanz der Prädiktoren je nach dem untersuchten Kontext und der Situation ändert (Afifi, 2016, S. 1762).

Mit Blick auf das breitere Spektrum positiver und negativer Emotionen zeigte die Studie, dass Angst mit einer höheren Unsicherheitsdiskrepanz in Bezug auf Populismus einhergeht und zur Informationssuche und Informationsvermeidung führt. Wut ging mit einer geringeren Unsicherheitsdiskrepanz in Bezug auf Populismus einher und führte zu einer erhöhten Informationssuche und einer geringeren Informationsvermeidung. Bei ausgeprägteren Wirksamkeitsbewertungen wurde Wut mit mehr Informationssuche und weniger Informationsvermeidung über Populismus in Verbindung gebracht. Es zeigte sich also, dass negative Emotionen für das Informationsmanagement über Populismus relevanter sind als positive Emotionen.

Insgesamt liefert diese Studie erste Erkenntnisse über politisches Unsicherheitsmanagement und dessen angewandte Strategien. Die Ergebnisse helfen, die Bürger und ihr politisches Informationsmanagement zu verstehen. Weitere Forschungsarbeiten sind erforderlich, um andere Emotionen sowie die Strategien der Informationssuche und -vermeidung in verschiedenen politischen Kontexten, z. B. im Zusammenhang mit Wahlen, zu untersuchen.

Literatur

Afifi, W. A. (2016). Theory of Motivated Information Management. In C. R. Berger & M. E. Roloff (Eds.), The Wiley Blackwell - ICA international encyclopedias of communication. The International encyclopedia of interpersonal communication (pp. 1756–1765). Wiley Blackwell. https://doi.org/10.1002/9781118540190.wbeic168

Afifi, W. A. & Morse, C. R. (2009). Expanding the role of emotion in the theory of motivated information management. In T. D. Afifi & W. A. Afifi (Hrsg.), Uncertainty, information management, and disclosure decisions: Theories and applications (S. 87–105). Routledge/Taylor & Francis Group.

Afifi, W. A. & Weiner, J. L. (2004). Toward a Theory of Motivated Information Management. Communication Theory, 14 (2), 167–190. https://doi.org/10.1111/J.1468-2885.2004.TB00310.X

Hoewe, J. & Parrott, S. (2019). The power of anger: How emotions predict information seeking and sharing after a presidential election. Atlantic Journal of Communication, 27 (4), 272–283. https://doi.org/10.1080/15456870.2019.1614925

Kahlor, L. A., Yang, Z. J. & Liang, M.‑C. (2018). Risky Politics: Applying the Plan-ned Risk Information Seeking Model to the 2016 U.S. Presidential Election. Mass Communication and Society, 21 (6), 697–719. https://doi.org/10.1080/15205436.2018.1498900

Schulz, W. (2011). Politische Kommunikation. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-531-93094-7

Steckbrief

Titel (deutsch): Politisch motiviertes Informationsmanagement: Anwendung der Theorie des motivierten Informationsmanagements auf die Informationssuche und -vermeidung über Populismus
Titel (englisch): Political motivated information management: Applying the theory of motivated information management to information seeking and avoidance about populism
Erhebungszeitraum: 06/2021–07/2021
Stichprobe (effektiv): 456
Stand der Informationen: 01.12.2023

Publikationen

Spreen, N., Link, E. & Scherer, H. (2022, Oktober). Turning to information about populism – Applying the Theory of Motivated Information Management to political information seeking. Vortrag im Rahmen der 9. European Communication Conference (ECREA), 19.-22. Oktober 2022, Aarhus, Dänemark.

Weitere Informationen

https://www.ijk.hmtm-hannover.de/de/start/

Kontakt

Nico.Spreen@ijk.hmtm-hannover.de

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