Schäpers, Philipp & Mönke, Franz

Informationsmengen in der Online-Personalvorauswahl

Immer mehr Personalverantwortliche suchen auch online nach verfügbaren Informationen über Bewerber:innen: In Zeiten großer Social-Media-Plattformen vermuten viele Personalverantwortliche aufschlussreiche Informationen im Internet (z.B. durch eine Google-Suche, auf Facebook oder LinkedIn). In der Forschung wird dieses Verhalten Cybervetting genannt (engl. to vet = gründlich überprüfen), repräsentative Umfragen in Deutschland schätzen, dass circa 2 von 3 Personalverantwortlichen diese Screenings nutzen (Bitkom, 2018). Doch die Güte dieser neuen Methode zur Vorauswahl ist umstritten (Mönke & Schäpers, 2022a; Van Iddekinge et al., 2016; Wilcox et al., 2022).

Ein Grund für unklare Zusammenhänge zwischen Cybervetting-Urteilen und späterer Jobleistung kann die große Unterschiedlichkeit an Social Media-Informationen sein: Profile unterscheiden sich stark hinsichtlich der Verfügbarkeit berufsrelevanter Informationen. Viele Nutzer:innen präsentieren zudem keine vollständigen und in jedem Detail ausgefüllten Profile (Roth et al., 2016; Zhang et al., 2020). Diese unterschiedlichen Informationsmengen können Urteile der Bewerter:innen potenziell beeinflussen: Aus der Marketing- und Bewerbungsforschung ist bekannt, dass fehlende Informationen meist zu Skepsis führen (Roth et al., 2016). Hat der/die Bewerber:in vielleicht etwas zu verbergen? Solche Skepsis und Verunsicherung führen schnell zu einer Abwertung, die vielleicht nicht gerechtfertigt ist. Dieser Denkfehler kann die Güte von Entscheidungen daher signifikant reduzieren. Ziel unserer Studie ist der Test, ob sich dieser Denkfehler auch auf Cybervetting-Bewertungen überträgt.

Für weitere, anschauliche Hintergrundinformationen zum Forschungsstand dieses hochaktuellen Themas verweisen wir interessierte Leser:innen gern auf unseren Artikel in der Zeitschrift „Wirtschaftspsychologie aktuell“ (Mönke & Schäpers, 2022b).

Methode

In dieser Studie untersuchten wir daher, wie ein Kandidat mit unterschiedlicher Eignung (niedrig oder hoch, z.B. Masterabschluss) und unterschiedlich ausführlichen LinkedIn-Profilen (z.B. verschiedener Grad an Details im Profil, Vorhandensein eines Bildes) in einem simulierten Online-Screening bewertet wird. Dazu haben wir die Teilnehmenden instruiert, sich in die Rolle eines/r Personalverantwortlichen zu versetzen. Nach Sichtung der Profile durch die Teilnehmenden haben wir Angaben zu wahrgenommener Kompetenz, Sympathie und professionellem Online-Auftreten erfasst; sowie Einschätzungen zu erwarteter Jobleistung, Kollegialität und unproduktivem Verhalten. Dazu kamen Fragen zu in der Personalauswahl und demographische Angaben. Hypothesen, Daten und Analysemethoden wurden im Sinne der Transparenz (Open Science) präregistriert und werden mit Publikation vollständig veröffentlicht (Open Science Framework).

Ergebnisse

Erste Analysen deuten, wie erwartet, auf einen signifikanten Einfluss der Informationsmenge hin: Je ausführlicher das LinkedIn-Profil des fiktiven Bewerbers, desto besser waren Bewertungen von zukünftiger Aufgabenerfüllung und Kollegialität. Es wurde weniger unproduktives Arbeitsverhalten erwartet, die Intention zur Einladung des Bewerbers zu einem Bewerbungsgespräch stieg signifikant. Bemerkenswert ist, dass dieser Effekt nicht von einer niedrigen oder hohen Qualifikation des Bewerbers abhing. Wahrnehmungen von Kompetenz und Sympathie vermittelten den Zusammenhang. Wir zeigen damit erstmalig, dass sich die bekannten Effekte fehlender Informationen auch in Cybervetting zeigen. Unsere Studie zeigt eine weitere Gefahr von Denkfehlern in der Personalauswahlpraxis auf und unterstreicht erneut Skepsis an der psychometrischen Güte von Social Media zur Vorauswahl von Bewerber:innen.

Literatur

Bitkom. (2018). Zwei von drei Personalern informieren sich online über Bewerber. https://www.bitkom.org/Presse/Presseinformation/Zwei-von-drei-Personalern-informieren-sich-online-ueber-Bewerber.html

Mönke, F. W., & Schäpers, P. (2022a). Too early to call: What we do (not) know about the validity of cybervetting. Industrial and Organizational Psychology, 15(3), 334–341. https://doi.org/10.1017/iop.2022.51

Mönke, F. & Schäpers, P. (2022b). Cybervetting: Wie Social Media die Personalauswahl verändert. Wirtschaftspsychologie aktuell, 29(3), 20-24. https://bit.ly/42oqi3n

Van Iddekinge, C. H., Lanivich, S. E., Roth, P. L., & Junco, E. (2016). Social media for selection? Validity and adverse impact potential of a Facebook-based assessment. Journal of Management, 42(7), 1811–1835. https://doi.org/10.1177/0149206313515524

Roth, P. L., Bobko, P., Van Iddekinge, C. H., & Thatcher, J. B. (2016). Social media in employee-selection-related decisions: A research agenda for uncharted territory. Journal of Management, 42(1), 269–298. https://doi.org/10.1177/0149206313503018

Wilcox, A., Damarin, A. K., & McDonald, S. (2022). Is cybervetting valuable? Industrial and Organizational Psychology, 15(3), 315–333. https://doi.org/10.1017/iop.2022.28

Zhang, L., Van Iddekinge, C. H., Arnold, J. D., Roth, P. L., Lievens, F., Lanivich, S. E., & Jordan, S. L. (2020). What’s on job seekers’ social media sites? A content analysis and effects of structure on recruiter judgments and predictive validity. Journal of Applied Psychology, 105(12), 1530–1546. https://doi.org/10.1037/apl0000490

Steckbrief

Titel (deutsch): Informationsmengen in der Online-Personalvorauswahl
Titel (englisch): The value of information in social media assessments
Erhebungszeitraum: 05/2023–06/2023
Stichprobe (effektiv): 460
Stand der Informationen: 15.09.2023

Publikationen

Manuscript in preparation

Weitere Informationen

https://go.wwu.de/entrepreneurpsy

Kontakt

Jun.-Prof. Dr. Philipp Schäpers (philipp.schaepers@uni-muenster.de)

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