Schirmer, Magnus

#Bodypositivity oder Fitnesswahn

zwischen politischem Statement, Selbstbe-stimmung und körperlicher Gesundheit

In den letzten Jahrzehnten sind die sozialen Medien zu einem festen Bestandteil des Lebens geworden und beeinflussen Meinungen, Verhalten und Lebensstilentscheidungen. Social-Media-Plattformen haben den Nutzer*innen die Möglichkeit gegeben, ihre politischen Überzeugungen zu äußern und Vorlieben im Lebensstil zu fördern. Infolgedessen sind die sozialen Medien zu einem Schlachtfeld für politische und kulturelle Ideologien geworden.

Mehr denn je greift online die Theorie des sozialen Vergleichs von Leon Festinger. Er legte eine Grundlage für viele Phänomene der virtuellen Rezeption. Nicht zuletzt die Exposition idealisierter Körperbilder und damit verbundener Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper.

Als Gegenbewegung dazu, hat sich die Debatte um Body Positivity (im folgenden BoPo) etabliert. Laut Festinger enden Vergleichsgrößen an Stellen, die zu unterschiedlich erscheinen. Henry Tajfel, mit seiner Theorie der sozialen Identität erklärt diese Abgrenzung anhand einer Identitätsgrenze. Als anfängliches Hashtag war das Ziel der Nutzer*innen, Betroffenen das Gefühl zu geben, Teil einer Gruppe zu sein und alle Körperformen zu normalisieren. Der Trend hat es mit der Zeit aus den Gefilden der sozialen Netze heraus, über Lifestylemagazine in Presse und Privatfernsehen und die Popkultur (z.B. Sängerin Lizzo), den Weg in die öffentlich-rechtlichen Fernsehprogramme gefunden hat. So wurde im vergangenen Jahr beispielsweise auf ZDFkultur diskutiert: „Schadet uns Bodypositivity?“

Die Folge wurde prompt zur damals erfolgreichsten Ausstrahlung des Formats auf YouTube, da sie vor allem in der Fitnessblase ein Eklat auslöste. Etliche Influencer*innen kritisierten in Reaktionsvideos die Redaktion des Formats darin, einen gemütlichen, aber ungesunden Lebensstil zu legitimeren. Ziel dieser Masterarbeit ist es, zum Verständnis der Überschneidung zwischen politischer Ideologie und Lebensstilentscheidungen in sozialen Medien beitragen. Konkret wird untersucht, ob es einen Zusammenhang zwischen der Förderung von BoPo und einer liberalen Position auf der politisch-kulturellen Konfliktlinie gibt, beziehungsweise ob die Befürwortung von Fitnessinhalten mit konservativen politischen Werten verbunden ist.

Methode

Diese Studie soll mittels einer quantitativen Querschnittsbefragung beantworten, ob eine Segmentierung vorliegt und wie internalisiert die Lagermeinungen sind. Mithilfe von SPSS sollen die Daten durch Regressionen und mit Mittelwertvergleichen ausgewertet werden. Als Kontrollvariablen dienen Angaben zur Person, wie Alter, Geschlecht, Bildung und Herkunft aber auch Persönlichkeitsausprägungen der Big Five, sowie der die Wahrnehmung des Körperbildes und die tatsächliche Sportintensität. Studien beweisen, dass Bodypositivity vor allem Menschen nützt, mentale Dispositionen zu überwinden, wenn der BMI als Moderator tatsächlich hoch ist.

Ergebnisse

Zusammenfassend hat diese Masterarbeit das Thema "Bodypositivity vs. Fitness" im Bereich der politischen Kommunikation untersucht. Die Forschungsergebnisse haben gezeigt, dass es keine klare Trennung zwischen Nutzer*innen von Fitness und Bodypositivity gibt. Die größte Nutzer*innengruppe umfasst Personen, die sich sowohl mit Fitness- als auch mit BoPo-Inhalten beschäftigen. Es wurden jedoch erhebliche Unterschiede in der Zusammensetzung und im Habitus der drei Gruppen aus Exklusiv- und den dominierenden Mischnutzer*innen festgestellt.

Die historisch als auch in den Daten nachweislich eng mit dem Feminismus verbundene BoPo besteht hauptsächlich aus Frauen. Fitnessinhalte sind vor allem unter Exklusivnutzer*innen von BoPo-Angeboten unbeliebt, während die gegenteilige Tendenz nicht so deutlich zu erkennen ist. Im Gegensatz, Fitnessnutzer*innen haben im Verhältnis zur Allgemeinbevölkerung eine gemäßigte Meinung zur körperlichen Selbstentscheidung. Nichtsdestotrotz stehen Fitnessnutzer*innen für einen Ausgleich mangelnden gesundheitliches Engagments und somit weniger sozialstaatliche Unterstützung für Personen, die in ihrem Leben der körperlichen Akzeptanz Priorität einräumen. Dieses Beispiel verdeutlicht den gesellschaftlichen Verteilungskampf und wird durch das höhere Sportengagement der Fitnesskonsumenten im Vergleich zu den Teilnehmer*innen der Studie, die BoPo exklusiv nutzen, erneut unterstrichen.

Darüber hinaus korreliert der Konsum von körperpositiven Inhalten mit einer sozialstaatlicheren sozioökonomischen und liberaleren politisch-kulturellen Ideologie, wodurch die Bewegung auf der linken Seite des politischen Spektrums anzusiedeln ist. Darüber hinaus zeigen Personen, die ausschließlich körperpositive Inhalte konsumieren und fitnessbezogene Medien meiden, einen gewissen Grad an Distanz zur Politik.

Eine weitere Analyse hat gezeigt, dass die Bewegung mit ihren überwiegend weiblichen Mitgliedern stärker von den Medien beeinflusst wird und aufgrund eines höheren Neurotizismus anfälliger für Essstörungen sein kann. Daher sind die Schaffung eines sicheren Umfelds und die Sensibilisierung für diese potenziellen Risiken von entscheidender Bedeutung, um den*die Einzelne*n dabei zu unterstützen, eine geistig gesunde Perspektive auf ihren*seinen Körper zu entwickeln.

Schließlich ist auch Festingers Theorie des sozialen Vergleichs für diesen Diskurs von Bedeutung. Die Studie bestätigt Elemente dieser Theorie, da unter den körperpositiven Teilnehmer*innen der Studie eine homogenere Gruppe in Bezug auf die Meinungen zu beobachten ist, als in dem vielfältigeren Bereich, der auf körperliche Aktivität ausgelegt ist. Dennoch waren die Ausgangshypothesen zu deterministisch für die freie Medienwahl und dadurch mannigfaltige Themenagenda der Individuen in den sozialen Medien. Hinsichtlich ihrer Fähigkeiten muss noch deutlicher auf die Durchmischung beider Lager durch eine Gruppe hingewiesen werden, die beide Angebote nutzt. Eben jene Gruppe nährt sich sowohl in ihrer politischen Meinung, als auch in ihrer sportlichen Aktivität den Fitnessaffinen an, während exklusive BoPo-Nutzer*innen deutliche Unterschiede in ihrer Lebensführung und Einstellung vorweisen.

In Bezug auf Flanagan lässt sich resümieren, dass die politische Ausrichtung der BoPo und somit die Werteorientierung nicht alleine von Progressivität getrieben ist. Viel eher ist es im Falle der exklusiven Nutzer*innen eine gesellschaftliche Überlebensstrategie, um die von Neurotizismus in Instabilität versetzte Wahrnehmung des eigenen Körpers ins Gleichgewicht mit der allgegenwärtig gepredigten Schönheitsnorm zu bringen. Die Frage "Welche Einstellungen und Verhaltensmuster sichern in diesem sozioökonomischen Kontext am besten das Überleben und das Wohlergehen des Einzelnen und der Gemeinschaft?" findet gänzlich andere Blickwinkel aus den Augen der Menschen mit und ohne Probleme mit dem eigenen Gewicht. Welche Werte einem Individuum unter dem jeweiligen Gesichtspunkt als funktional erscheint, hängt vom Ausgangspunkt der Person oder Gruppe ab, die man hinsichtlich eines für diese Gruppe/Person relevanten Themas betrachtet. Nichtsdestotrotz überwiegt eine gewisse Gleichheit des allgemeinen Bewusstsein der Generationen, die in den Medien aktiv sind. Die Befragten heute sind deutlich näher am libertären Pol, als es für die Menschen vor einigen Jahrzehnten möglich und günstig gewesen wäre. Schließlich muss ein Punkt genannt werden, der im Rahmen dieser Arbeit untergegangen sein mag. Auch den eigenen Körper in einer nahezu gefahrenlosen Welt, in welcher der Mensch die Umwelt dominiert, zu optimieren, ist ein Ausdruck der Selbstentfaltung. Gezieltes Bodybuilding hat wenig mit Pragmatismus für das eigene Überleben zu tun, sondern widmet sich eher der perfekten Definition des eigenen Körpers entsprechend dem derzeit herrschenden Schönheitsideals. Daraus lässt sich ableiten, weder die BoPo noch die Fitnessbranche kann sich dem Ruf entziehen, der Relevanz von Schönheit und Ästhetik im Leben zu frönen.

Die Ergebnisse liefern wertvolle Einblicke in die Zusammensetzung, die Einstellungen und die politische Positionierung verschiedener Nutzer*innengruppen. Das Verständnis dieser Dynamik ist für die Förderung eines integrativeren und nuancierteren Diskurses über Körperbild, Selbstwahrnehmung und persönliche Handlungsfähigkeit unerlässlich. Künftige Forschungsarbeiten könnten sich eingehender mit spezifischen Untergruppen befassen und die Intersektionalität von Identitäten untersuchen. Trotz umfangreicher vorhandener Forschung sind die langfristigen Auswirkungen des Medienkonsums auf das Körperbild und das Wohlbefinden innerhalb neuer Generationen mit anderen Werten und höherer Medienkompetenz weiterhin relevant. Hierbei wäre der Einfluss und Mechanismus von Algorhytmen auf Instagram oder beispielsweise TikTok interessant, um zu verstehen, warum es eben nicht zur absoluten Abspaltung in zwei Lager kam und der wesentliche Anteil der Debattenteilnehmer*innen sowohl Meinungen des einen, als auch des anderen Pols versteht und vertreten.

Steckbrief

Titel (deutsch): #Bodypositivity oder Fitnesswahn – zwischen politischem Statement, Selbstbe-stimmung und körperlicher Gesundheit Eine Untersuchung auf der autoritär-libertär-Achse nach Flanagan
Titel (englisch): #Bodypositivity or fitness obsession - between political statement, self-determination and physical health. An investigation on the Flanagan authoritarian-libertarian axis.
Erhebungszeitraum: 05/2023
Stichprobe (effektiv): 350
Stand der Informationen: 08.09.2023

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