Mazei, Jens & von Lampe, Karola

Authentizität und Geschlechterrollen in Gehaltsverhandlungen

Die Verhandlungsforschung beschäftigt sich seit geraumer Zeit mit Geschlechtsunterschieden. Studienergebnisse haben gezeigt, dass Frauen im Vergleich zu Männern manchmal schlechter in Verhandlungen abschneiden (z. B. Mazei et al., 2015). Diese Geschlechtsunterschiede schwanken allerdings von Situation zu Situation (z. B. Kugler et al., 2018), woraus sich ein Bedarf ergibt, die zugrundeliegenden Mechanismen genauer zu erforschen. Gesellschaftliche Rollenbilder liefern hier eine wichtige Erklärung: Verhaltensweisen, wie z.B. Durchsetzungsstärke, die in Verhandlungen nützlich sind, um ein hohes Gehalt zu erzielen (z. B. Stuhlmacher & Linnabery, 2013) werden traditionell eher von Männern als von Frauen erwartet und gezeigt (Eagly, 1987). Verhalten sich Frauen in Verhandlungen entgegen ihrer Rollenerwartung, riskieren sie eine negative Bewertung durch Andere (z. B. Amanatullah & Tinsley, 2013). Bisher werden dieses sogenannte Backlash und die Erwartung, dass Backlash aufritt (antizipiertes Backlash) als die wichtigsten Mechanismen für Geschlechtsunterschiede in Verhandlungen betrachtet (Bowles et al., 2019). Allerdings wurde in einigen Studien keine dazugehörigen statistischen Ergebnisse (Mediation) beobachtet (z. B. Artz et al., 2018; Bowles et al., 2007). Daher untersuchten wir in unserer Studie einen neuen potenziellen Mechanismus: selbsterlebte Authentizität. Wir erwarteten, dass sich verhandelnde Frauen im Vergleich zu Männern als weniger authentisch erleben und folglich weniger Gehalt fordern würden—sofern sie traditionelle Geschlechterrollen internalisiert haben.

Methode

Zunächst wurde den Teilnehmenden eine Gehaltsverhandlung beschrieben, in die sie sich hineinversetzen sollten. Daraufhin wurde das Ausmaß an selbsterlebter Authentizität erfasst und antizipiertes Backlash als Vergleichsmaßstab erhoben. Anschließend wurden die Teilnehmenden gebeten, eine konkrete Gehaltsforderung abzugeben. Außerdem erfassten wir die Geschlechterrollenorientierung (d. h. das Ausmaß, zu dem das Selbstbild der Frauen und Männer traditionellen Geschlechterrollen entspricht) als Moderator dieser Geschlechtsunterschiede. Zudem untersuchten wir, ob das Authentizitätserleben von Frauen in Verhandlungen mit positivem und negativem Affekt, sowie mit einem verhandlungsbezogenen Aspekt der Selbstwirksamkeit (distributive Selbstwirksamkeit), zusammenhängt. Abschließend wurden demographische Daten erhoben und die Teilnehmenden wurden aufgeklärt. Hypothesen und Analysemethoden wurden im Sinne der Transparenz (Open Science) präregistriert.

Ergebnisse

Wie erwartet fühlten Frauen sich weniger authentisch als Männer und forderten ein geringeres Gehalt. Der Geschlechtsunterschied in der Gehaltsforderung wurde durch selbsterlebte Authentizität statistisch vermittelt. Frauen berichteten auch mehr antizipiertes Backlash als Männer, allerdings konnte antizipiertes Backlash nicht den Geschlechtsunterschied in den Gehaltsforderungen statistisch erklären. Außerdem beobachteten wir, dass die Geschlechtsunterschiede in selbsterlebter Authentizität und in der Gehaltsforderung durch das Ausmaß der Geschlechterrollenorientierung moderiert wurden. Zudem beobachteten wir, dass je authentischer sich die Teilnehmenden fühlten, desto mehr positiven Affekt, weniger negativen Affekt und mehr distributive Selbstwirksamkeit erlebten sie. Diese Zusammenhänge wurden über beide Geschlechter hinweg beobachtet.

Literatur

Amanatullah, E. T., & Tinsley, C. H. (2013). Punishing female negotiators for asserting too much…or not enough: Exploring why advocacy moderates backlash against assertive female negotiators. Organizational Behavior and Human Decision Processes, 120(1), 110–122. https://doi.org/10.1016/j.obhdp.2012.03.006

Artz, B., Goodall, A. H., & Oswald, A. J. (2018). Do Women Ask? Industrial Relations: A Journal of Economy and Society, 57(4), 611–636. https://doi.org/10.1111/irel.12214

Bowles, H. R., Babcock, L., & Lai, L. (2007). Social incentives for gender differences in the propensity to initiate negotiations: Sometimes it does hurt to ask. Organizational Behavior and Human Decision Processes, 103(1), 84–103. https://doi.org/10.1016/j.obhdp.2006.09.001

Bowles, H. R., Thomason, B., & Bear, J. B. (2019). Reconceptualizing What and How Women Negotiate for Career Advancement. Academy of Management Journal, 62(6), 1645–1671. https://doi.org/10.5465/amj.2017.1497

Eagly, A. H. (1987). Sex differences in social behavior: A social-role interpretation. Lawrence Erlbaum Associates, Inc.

Kugler, K. G., Reif, J. A. M., Kaschner, T., & Brodbeck, F. C. (2018). Gender differences in the initiation of negotiations: A meta-analysis. Psychological Bulletin, 144(2), 198–222. https://doi.org/10.1037/bul0000135

Mazei, J., Hüffmeier, J., Freund, P. A., Stuhlmacher, A. F., Bilke, L., & Hertel, G. (2015). A meta-analysis on gender differences in negotiation outcomes and their moderators. Psychological Bulletin, 141(1), 85–104. https://doi.org/10.1037/a0038184

Stuhlmacher, A. F., & Linnabery, E. (2013). Gender and negotiation: A social role analysis. In M. Olekalns & W. Adair, Handbook of Research on Negotiation (S. 221–248). Edward Elgar Publishing. https://doi.org/10.4337/9781781005903.00018

Steckbrief

Titel (deutsch): Authentizität und Geschlechterrollen in Gehaltsverhandlungen
Titel (englisch): Authenticity and gender roles in salary negotiations
Erhebungszeitraum: 05/2023–06/2023
Stichprobe (effektiv): 759
Stand der Informationen: 28.08.2023

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