Till, Benedikt; Arendt, Florian; Kirchner, Stefanie; Naderer, Brigitte & Niederkrotenthaler, Thomas

Suizidberichterstattung

Aus der Forschung rund um massenmedial vermittelte Imitationseffekte ist bekannt, dass Mediendarstellungen von Suizid und Suizidalität sowohl weitere Suizide auslösen können (Werther-Effekt) als auch präventiv wirken können (Papageno-Effekt). Um Imitationssuizide nach sensationsträchtiger Medienberichterstattung über Suizid zu verhüten und eine verantwortungsvolle Berichterstattung zu fördern, wurden in vielen Ländern und auch von der WHO Medienempfehlungen zur Berichterstattung über Suizid entwickelt und implementiert.

In mehreren Ländern wurde die Wirksamkeit dieser Medienempfehlungen anhand wissenschaftlicher Studien überprüft. Die meisten dieser Studien untersuchten die Veränderung der Qualität der Medienberichterstattung. So zeigte sich in mehreren Studien eine Qualitätsverbesserung nach der Implementierung der Medienrichtlinien. In Österreich konnte neben einer Qualitätsverbesserung der Medienberichterstattung auch ein Rückgang der Suizide festgestellt werden. Dies zeigt, dass die Medienempfehlungen in ihrer Gesamtheit einen wichtigen Beitrag zur Verhütung von Imitationssuiziden leisten können. Studien, die sich mit der Wirksamkeit einzelner Empfehlungen innerhalb der Medienrichtlinien befassen, gibt es bis jetzt aber noch kaum.

Ein Aspekt, der in Medienrichtlinien für gewöhnlich vorzufinden ist, ist die Empfehlung, keine monokausalen Darstellungen des Motivs für Suizidhandlungen zu verwenden, sondern Suizid als Resultat einer multikausalen Genese darzustellen, an der unterschiedliche biologische, soziale, psychologische und kulturelle Faktoren beteiligt sind. Eine Inhaltsanalyse der Suizidberichterstattung in Österreich hat gezeigt, dass gerade diese Empfehlung zu jenen gehört, die in Zeitungsberichten verhältnismäßig selten umgesetzt wird. Studien die aufzeigen, wie mono- vs. multikausale Darstellungen von Suizid auf Leser:innen wirken, gibt es bis jetzt aber noch nicht.

Methode

Den Proband:innen wird ein Zeitungsartikel über Suizid präsentiert. Alle fünf Gruppen erhalten denselben Zeitungsartikel, jedoch wird zwischen den 5 Gruppen die Darstellung der Kausalität des im Artikel beschriebenen Suizids variieren: Während in der Kontrollgruppe keine Angaben zu den Motiven des Suizids gemacht werden, wird in Interventionsgruppe #1 im Artikel ein spezifischer externer Faktor (z.B. Mobbing) als Grund für den Suizid genannt. In Interventionsgruppe #2 werden zwar mehrere Gründe für den Suizid angeführt, jedoch wird es sich hierbei ausschließlich um externe Faktoren handeln (z.B. Mobbing, Probleme mit Eltern, unzureichende Hilfe, etc.). In Interventionsgruppe #3 wird der Suizid ganz im Sinne der Empfehlung in den Medienrichtlinien als Resultat einer multikausalen Genese dargestellt. In Interventionsgruppe 4 wird der Suizid nicht nur multikausal dargestellt, sondern der Artikel wird zudem auf Suizidprävention fokussieren.

Ergebnisse

Teilnehmer:innen, die Artikel lasen, in denen der Suizid als durch einen einzelnen, bestimmten Grund oder ausschließlich durch soziale Faktoren verursacht dargestellt wurde, tendierten stärker dazu, eine falsche (= einseitige) Vorstellung von der Ursache von Suizid zu haben als diejenigen, die einen Artikel mit einer korrekten Darstellung lasen. Außerdem war die Identifikation mit der suizidalen Protagonistin immer dann höher, wenn im Artikel ein spezifischer Grund oder mehrere Gründe für den Suizid genannt wurden. Nur wenn gar kein Grund erwähnt wurde, war die Identifikation geringer. Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass die korrekte (= multifaktorielle) Darstellung der Ursache von Suizid in Nachrichtenartikeln zur Aufklärung der Öffentlichkeit über Suizid beitragen kann, jedoch das Risiko einer verstärkten Identifikation mit dem:der Protagonist:in, der:die durch Suizid gestorben ist, am geringsten ist, wenn keine Erklärung für die Ursache des berichteten Suizid gegeben wird.

Literatur

Niederkrotenthaler, T. & Stack, S. (Eds.) (2017). Media & suicide: international perspectives on research, theory, & policy. Transaction Books.

Tomandl, G., Sonneck, G, Stein, C., Kapitany, T., & Niederkrotenthaler, T. (2021). Leitfaden zur Berichterstattung über Suizid. Kriseninterventionszentrum, Wien. Verfügbar unter: https://kriseninterventionszentrum.at/wp-content/uploads/2021/11/Leitfaden_zur_Berichterstattung_%C3%BCber_Suizid_2021.pdf

World Health Organization. (2017). Preventing suicide. A resource for media professionals: Update 2017. WHO.

Steckbrief

Titel (deutsch): Suizidberichterstattung
Titel (englisch): Suicide media coverage
Erhebungszeitraum: 03/2023
Stichprobe (effektiv): 969
Stand der Informationen: 12.06.2023

Weitere Informationen

https://public-health.meduniwien.ac.at/unsere-abteilungen/abteilung-fuer-sozial-und-praeventivmedizin/forschung/units-der-abteilung-fuer-sozial-und-praeventivmedizin/unit-suizidforschung-mental-health-promotion/

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