Peters, Jana

Inzivilität in Polit-Talkshows und in Online-Kommentaren

Eine Analyse der Auswirkungen von Inzivilität in Talkshows auf die Bewertung inziviler Online-Kommentare

Die Relevanz von Inzivilität im Netz wurde in den letzten Jahren durch eine Vielzahl wissenschaftlicher Studien belegt. Die Effekte von Inzivilität sind vielfältig und teilweise schwerwiegend: es kann zu einer politischen Polarisierung der Gesellschaft kommen, außerdem können negative Emotionen entstehen, die Offenheit für Themen schwindet und stereotypes Denken über soziale Gruppen wird gefördert. Schließlich führt die Rezeption inziviler Nutzerkommentare auch dazu, dass sich diese Nutzer:innen ebenfalls inziviler äußern.

Diese Arbeit fragt nach dem Einfluss von Inzivilität in journalistischen Angeboten (hier: politische Talk-Shows) auf die Bewertung von Inzivilität in Online-Diskussionen: Wie wirkt Inzivilität in politischen Talk-Shows auf die Bewertung von Inzivilität in Online-Diskussionen?

Um diese Frage zu beantworten wird auf die Konzepte Priming, Framing und Emotionen zurückgegriffen.

Es wird angenommen, dass die Rezeption von Inzivilität in Talk-Shows zu negativen Emotionen führt (a). Die ausgelösten negativen Emotionen führen zu einer Befürwortung von inzivilen Kommentaren (b). Insgesamt besteht ein indirekter Effekt von Inzivilität in Talk-Shows auf die Befürwortung inziviler Kommentare (c). Die Wirkmechanismen für Priming und Framing sind äquivalent. Das heißt, dass die Rezeption von Inzivilität in Talk-Shows zu einem Priming (bzw. Framing) führt (a). Durch das Priming und die damit aktivierten aggressionsbezogenen Konzepte (bzw. das Übernehmen eines "Inzivilitäts-Frames") kommt es zu einer Befürwortung von inzivilen Kommentaren (b). Insgesamt besteht auch hier ein indirekter Effekt von Inzivilität in Talk-Shows auf die Befürwortung inziviler Kommentare (c).

Zusätzlich konnte der Literatur entnommen werden, dass eine höhere verbale Aggression von Personen sowie eine höhere Akzeptanz von Inzivilität die Effekte beeinflusst. Es wird angenommen, dass bei hohen Ausprägungen dieser Variablen der Effekt verstärkt wird.

Methode

Es wird ein in einen Online-Fragebogen eingebettetes Experiment durchgeführt. Die Experimentalgruppe sieht einen inzivilen Videoausschnitt aus der Talk-Show "hart aber fair", die Kontrollgruppe ein ziviles Äquivalent. Im Anschluss sollen die Proband:innen für 12 Kommentare angeben, wie wahrscheinlich es ist, dass sie diese Kommentare „liken“.

Die Kommentare lassen sich in vier Gruppen einteilen: jeweils drei inzivile Kommentare pro und kontra Aufnahme von Geflüchteten und jeweils drei zivile Kommentare pro und kontra Aufnahme von Geflüchteten. Die Annahme ist, dass Proband:innen, die das inzivile Video gesehen haben, eher inzivile Kommentare positiv bewerten als Proband:innen, die das zivile Video gesehen haben.

Die erklärenden Variablen (Priming, Framing, Emotionen) und die Moderatorvariablen (Verbale Aggression, Akzeptanz von Inzivilität) werden ebenfalls erhoben. Anschließend sollen alle angenommenen Wirkmechanismen mit statistischen Methoden überprüft werden.

Ergebnisse

Die Arbeit begann mit der Annahme, dass Inzivilität in Polit-Talkshows die Absicht, inzivile Nutzerkommentare positiv zu bewerten – mittels eines Likes – beeinflusst. Durch die Synthese des Forschungsstandes wurde argumentiert, dass dieser Effekt durch Priming, Framing und Emotionen vermittelt wird. Die empirischen Ergebnisse zeigen, dass diese Annahme nicht haltbar ist: Es konnte nicht gezeigt werden, dass die Rezeption eines inzivilen Stimulus mit einer größeren Wahrscheinlichkeit einen inzivilen Nutzerkommentar zu liken, einhergeht beziehungsweise durch Priming, Framing oder Emotionen mediiert wird. Auch die getroffene Annahme, dass es zu einer moderierten Mediation durch verbale Aggression und die Akzeptanz von Inzivilität kommt, war nicht haltbar.

Priming

Die Rezeption des inzivilen Videos hat die Teilnehmerinnen und Teilnehmer nicht im Hinblick auf Feindseligkeit beziehungsweise aggressionsbezogene Konzepte geprimed. Sie haben nicht eindeutige Aussagen nicht als aggressiver wahrgenommen als die Teilnehmerinnen und Teilnehmer, die das zivile Video gesehen haben. Tatsächlich gibt es einen umgekehrten Effekt: Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer, die das zivile Video gesehen haben, haben nicht eindeutige Aussagen als aggressiver wahrgenommen als die Teilnehmerinnen und Teilnehmer, die das inzivile Video gesehen haben. Priming beeinflusst weiter auch nicht die Befürwortung inziviler Kommentare. Mit Blick auf die deskriptiven Statistiken der Priming-Variable zeigt sich allerdings, dass auch keine hohen Priming-Effekte gemessen werden konnten (Skala von 1 = Kein Priming bis 10 = Maximales Priming, M = 3.98, SD = 1.45, Spanne von .34 bis 9.67). Es wäre interessant zu untersuchen, ob Priming auch dann keine Effekte auf die Befürwortung inziviler Kommentare hat, wenn der Priming-Effekt insgesamt höher ausfällt. Es gibt außerdem keinen indirekten Effekt des Videos auf die Befürwortung inziviler Kommentare über die Aktivierung von Feindseligkeit und aggressionsbezogenen Konzepten. Priming mediiert den Effekt also nicht. Ein Grund für das Ausbleiben der Mediation könnte der Kurzzeit-Effekt von Priming sein: Die Priming-Effekte halten häufig nicht lange an und verblassen schon nach kurzer Zeit (Berkowitz, 1984, S. 411). Roskos-Ewoldsen et al. (2007, 2009) sprechen hier von einer willentlichen Unterdrückung des aggressionsbezogenen Verhaltens. Es kann also sein, dass die aggressionsbezogenen Konzepte bereits nicht mehr aktiviert sind, wenn die Teilnehmerinnen und Teilnehmer angeben sollen, wie wahrscheinlich es ist, dass sie die Kommentare liken.

Framing

Durch die Rezeption des inzivilen Videos hat sich kein Framing-Effekt gezeigt, jedoch bedeuten höhere Framing-Werte, dass inzivile Kommentare signifikant wahrscheinlicher geliked werden. Ferner hat sich kein indirekter Effekt des inzivilen Videoausschnitts auf die Befürwortung inziviler Kommentare über die Übernahme des Inzivilitäts-Frames gezeigt. Auch im Falle von Framing kam es also zu keiner Mediation.

Emotionen

Die Rezeption des inzivilen Videos hat wie erwartet signifikant mehr negative Emotionen bei den Teilnehmerinnen und Teilnehmern ausgelöst als die Rezeption des zivilen Videos. Dieses Ergebnis ist im Einklang mit dem Forschungsstand; es bewährt sich, dass Medieninhalte negative Emotionen in den Rezipientinnen und Rezipienten auslösen können. Die ausgelösten Emotionen führen jedoch nicht dazu, dass sich die Bewertung inziviler Kommentare positiver ausfällt. Das spricht dafür, dass die Teilnehmerinnen und Teilnehmer zwar negative Emotionen spüren, diese sich jedoch nicht im Like-Verhalten zeigen. Es wäre interessant zu überprüfen, gegen wen oder was die negativen Emotionen sich konkret richten: Richten sie sich gegen die Urheberin oder den Urheber der Inzivilität, gegen Dritte oder sind die negativen Gefühle ohne konkrete Adressatin oder ohne konkreten Adressaten? Es wäre beispielsweise plausibel zu argumentieren, dass sich negative Emotionen nicht in das Liken inziviler Kommentare umsetzen, wenn diese sich exklusiv gegen die Urheberin oder den Urheber der Inzivilität richten. Zuletzt hat sich keine Mediation zwischen rezipiertem Video und der Befürwortung inziviler Kommentare durch Emotionen gezeigt.

Verbale Aggression

Die Ergebnisse der moderierten Mediationsanalysen mit verbaler Aggression als Moderator lassen die Aussage zu, dass die indirekten Effekte zwischen Video und der Bewertung inziviler Kommentare nicht durch verbale Aggression moderiert werden. Allerdings moderiert verbale Aggression den Effekt des Videos auf die ausgelösten Emotionen: Negative Emotionen verstärken sich bei höherer verbaler Aggression. Das spricht dafür, dass Wut nicht über die Inzivilität, sondern durch die Inzivilität ausgelöst wurde. Es hat sich außerdem gezeigt, dass die Befragten mit hoher verbaler Aggression sowohl höhere Priming-Werte als auch höhere Framing-Werte erreichen als die Befragten mit niedrigerer verbaler Aggression. Dieser Effekt findet sich jedoch nicht für das Ausmaß negativer Emotionen. Dies ist nachvollziehbar: Verbale Aggression führt zu einer leichteren Aktivierung der aggressionsbezogenen Konzepte (Priming) und zur Übernahme des Inzivilitäts-Frames, aber nicht zu mehr negativen Emotionen.

Akzeptanz von Inzivilität

Schließlich lassen die Ergebnisse der moderierten Mediationsanalysen nicht darauf schließen, dass die Akzeptanz von Inzivilität den indirekten Effekt des Videos auf die Bewertung der Kommentare moderiert. Mit Blick auf die Analyse mit Priming als Mediator wird deutlich, dass der Zusammenhang zwischen inzivilem Video und Priming durch die Akzeptanz von Inzivilität verringert wird. Das kann damit zusammenhängen, dass die Befragten, die das zivile Video gesehen haben, nicht eindeutige Aussagen als aggressiver wahrgenommen haben als die Teilnehmerinnen und Teilnehmer, die das inzivile Video gesehen haben. Ferner haben die Ergebnisse veranschaulicht, dass der Effekt negativer Emotionen auf die Bewertung inziviler Kommentare durch die Akzeptanz von Inzivilität verstärkt wirkt. Das ist verständlich: Empfindet ein Befragter negative Emotionen und hat zusätzlich eine hohe Akzeptanz von Inzivilität, ist es folgerichtig, dass dieser häufiger inzivile Kommentare liked als eine Person, die Inzivilität nicht akzeptiert. Schließlich hat die Analyse gezeigt, dass die Befragten mit hoher Akzeptanz von Inzivilität sowohl höhere Priming-Werte als auch höhere Framing-Werte erreichen als die Be- fragten mit niedrigerer Akzeptanz von Inzivilität. Erneut zeigt sich dieser Effekt jedoch nicht für das Ausmaß negativer Emotionen: Akzeptanz von Inzivilität führt dazu, dass aggressionsbezogene Konzepte leichter aktiviert werden (Priming) und der Inzivilitäts-Frame einfacher übernommen wird, aber nicht zu mehr negativen Emotionen.

Man könnte argumentierten, dass diese Ergebnisse aus demokratietheoretischer Sicht zufriedenstellend sind. Die Zuschauerinnen und Zuschauer einer inzivilen Talk-Show zeigen sich insgesamt resistent gegenüber der gesehenen Inzivilität: Es kommt zu keiner vermehrten Befürwortung inziviler Kommentare. Dennoch können diese Ergebnisse keine grundsätzliche Entwarnung für inzivile Medieninhalte darstellen: Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer dieses Experiments haben lediglich ein Video gesehen, was darüber hinaus von kurzer Dauer war. Das heißt also nicht, dass die hier zuvor angenommenen Wirkungsmechanismen sich nicht doch zeigen, wenn die Rezipientinnen und Rezipienten dauerhaft und kumulativ Inzivilität in den Medien ausgesetzt sind. Dieses Experiment beantwortet also nicht die Frage, was inzivile Medienbeiträge für langfristige Folgen haben, wenn sie wiederholt und über einen längeren Zeitraum konsumiert werden. Zukünftige Forschung sollte deshalb die kumulativen Wirkungen inziviler Medienbeiträge auf die Kommentarspalte analysieren.

Literatur

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Steckbrief

Titel (deutsch): Inzivilität in Polit-Talkshows und in Online-Kommentaren. Eine Analyse der Auswirkungen von Inzivilität in Talkshows auf die Bewertung inziviler Online-Kommentare
Titel (englisch): Incivility in political talk shows and in online comments. An analysis of the effects of incivility in talk shows on the evaluation of incivil online comments.
Erhebungszeitraum: 12/2021
Stichprobe (effektiv): 275
Stand der Informationen: 02.06.2023

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