Ginsbach, Hannah; Kiening, Toni; Steinfeltz, Nina & Steinle, Isabell

Informelle Kommunikation

„social glue“ von Unternehmen oder teure Ablenkung bei der Arbeit? Eine quantitative Befragung zu Ausmaß, Funktionen und Effekten von informeller Kommunikation in Organisationen

Die Zufriedenheit von Mitarbeitenden mit der internen Kommunikation in ihrem Unternehmen stellt eine wichtige Einflussgröße für ihre Jobzufriedenheit dar (Pincus, 1986). Bei der Betrachtung interner Kommunikationsabläufe kann zwischen formellem und informellem Austausch unterschieden werden (z.B. Jecker & Huck-Sandhu, 2020). Während Beschäftigte im Rahmen rein formeller Kommunikation in professionellen Rollen agieren, um betriebsrelevante Aufgaben zu erfüllen (Mast, 2014), kommt es im Arbeitsalltag auch zu zahlreichen Kommunikationssituationen, in denen professionelle und private Rollen nicht eindeutig getrennt werden. Von Begrüßungsfloskeln im Büro über Small-Talk auf dem Flur bis hin zum Lästern über andere Kolleg:innen in internen Chats gehören diverse Arten informeller Gespräche für viele Beschäftigte zur täglichen Realität (Koch & Denner, 2022; Methot et al., 2021). Diese Vielzahl denkbarer Situationen hat zur Folge, dass der Fokus empirischer Studien zu informeller Kommunikation oft auf einzelnen oder einigen wenigen Kommunikationsformen liegt, und informelle Kommunikation bislang folglich nicht ganzheitlich untersucht wurde. Deshalb wird in dieser Studie an Stelle ihrer Formen nach der Häufigkeit, Dauer und Intensität informeller Kommunikation geforscht.

In der Literatur zu informeller Kommunikation am Arbeitsplatz werden zahlreiche mögliche Funktionen formuliert. Demnach nutzen Mitarbeitende informelle Kommunikation einerseits (professionelle Ebene) zum Erlangen von arbeitsrelevanten Informationen, zum Aufbau professioneller Beziehungen und zur eigenen Integration in die Unternehmenskultur (Burke & Wise, 2003). Andererseits (private Ebene) trägt sie zum Abbau von Stress, zur Unterhaltung und zur Selbstverwirklichung bei (Fay, 2011; Kandlousi et al., 2010; Michelson & Mouly, 2000). Es hat bisher aber nur unzureichende Versuche gegeben, die Funktionen informeller Kommunikation erschöpfend abzubilden (z.B. Koch & Denner, 2022).

Die folgenden Forschungsfragen und Hypothesen wurden aufgestellt:

FF1: Inwiefern lassen sich unterschiedliche Funktionen informeller Kommunikation differenzieren?

FF2: Wie lässt sich das Ausmaß informeller Kommunikation messen?

H1: Je häufiger informell kommuniziert wird, desto intensiver ist die informelle Kommunikation.

H2: Informelle Kommunikation ist im Homeoffice a) weniger häufig und b) weniger intensiv als vor Ort.

FF3: Inwiefern hängen die Funktionen a) mit der Häufigkeit und b) mit der Intensität informeller Kommunikation zusammen?

FF4: Inwiefern beeinflussen die Funktionen informeller Kommunikation die Jobzufriedenheit?

FF5: Inwiefern beeinflussen a) die Häufigkeit und b) die Intensität der informellen Kommunikation die Jobzufriedenheit?

Methode

Zur Beantwortung der Forschungsfragen und zum Test der Hypothesen wurde das informelle Kommunikationsverhalten von erwachsenen Berufstätigen am Arbeitsplatz mit einem Online-Fragebogen (n = 1380) abgefragt. Dabei kamen sowohl etablierte als auch eigens erstellte Skalen zum Einsatz.

Die Häufigkeit und Dauer informeller Kommunikation wurden im Rahmen von Selbstauskünften über einen typischen Arbeitstag berichtet. Die Intensität informeller Kommunikation wurde über eine eigens erstellte Skala mit 4 Items erhoben.

Zum Ermitteln der Funktionen informeller Kommunikation wurden Items aus der bisherigen Literatur gesammelt und weiter ergänzt, um einen möglichst erschöpfenden Fragenkatalog für die Faktorenanalyse zu generieren. Diese Items wurden im Fragebogen in Form von Aussagen über informelle Kommunikation präsentiert. Die Befragten gaben den Grad ihrer Zustimmung zu diesen Aussagen auf fünfstufigen Skalen an ("Stimme nicht zu" bis "Stimme voll zu").

Zur Erhebung der Jobzufriedenheit wurde auf etablierte Skalenitems zurückgegriffen.

Ergebnisse

FF1: Inwiefern lassen sich unterschiedliche Funktionen informeller Kommunikation differenzieren?

Eine Hauptkomponentenanalyse lieferte sechs übergreifende Funktionen (Kaiser-Kriterium: Eigenwert > 1) informeller Kommunikation: Information & Organisation, Unterhaltung & Erholung, Strategische Einflussnahme, Gemeinschaftsgefühl, Organisationsidentifikation und Kontaktaufbau. Diese Faktoren erklärten insgesamt 62.8 % der Varianz der untersuchten Funktionsitems.

FF2: Wie lässt sich das Ausmaß informeller Kommunikation messen?

Das Ausmaß informeller Kommunikation wurde auf Basis theoretischer Überlegungen mit den drei Aspekten Häufigkeit, Dauer und Intensität gemessen.

Dauer: Die Befragten gaben an, an einem normalen Arbeitstag ca. 1 Stunde und 15 Minuten mit informeller Kommunikation zu verbringen (n = 1301, M = 1.25, SD = 1.3)

Häufigkeit: Nur 10 % der Befragten gaben an, "sehr selten" oder "selten" informell am Arbeitsplatz zu kommunizieren. 35 % tun dies dagegen "gelegentlich", 36 % „oft“ und 18 % sogar „sehr oft“.

Intensität: Die Intensität wurde als Mittelwertindex ihrer Skalenitems zusammengefasst (α = .74). Die durchschnittliche Intensität informeller Kommunikation lag in der Stichprobe knapp unter dem Skalenmittelpunkt von 3 und kann entsprechend als mittelmäßig intensiv bezeichnet werden (n = 1380, M = 2.66, SD = .62).

H1: Je häufiger informell kommuniziert wird, desto intensiver ist die informelle Kommunikation.

Zwischen den Variablen gab es in der Tat eine signifikante mittelstarke positive Korrelation, r = .36, p < .001, n = 1380. Personen, die angaben, häufiger informell zu kommunizieren, tun dies im Durchschnitt also intensiver.

H2: Informelle Kommunikation ist im Homeoffice a) weniger häufig und b) weniger intensiv als vor Ort.

a) Tatsächlich zeigte sich ein schwacher signifikanter negativer Zusammenhang zwischen den Arbeitstagen im Homeoffice pro Woche und der Häufigkeit der informellen Kommunikation, r = -.16, p < .001, n = 1379.

b) Auch hier zeigte sich ein signifikanter negativer Zusammenhang zwischen der Zeit im Homeoffice und der Intensität informeller Kommunikation, der aber sehr gering ausfällt, r = -.08, p < .01, n = 1379.

FF3: Inwiefern hängen die Funktionen a) mit der Häufigkeit und b) mit der Intensität informeller Kommunikation zusammen?

Zwischen allen Funktionen und Aspekten des Ausmaßes informeller Kommunikation bestanden in der Stichprobe signifikante positive Korrelationen. Die stärksten Zusammenhänge wurden dabei zwischen der Intensität und der Funktion Gemeinschaftsgefühl (r = .32, p < .001) und zwischen der Häufigkeit und der Funktion Information & Organisation beobachtet (r = .30, p < .001).

FF4: Inwiefern beeinflussen die Funktionen informeller Kommunikation die Jobzufriedenheit?

In einem hierarchischen Regressionsmodell (F(11, 1179) = 16.38, p < .001, R²korr. = .12) wurden die Funktionen Information & Organisation (β = -.12, p < .01) und Unterhaltung & Erholung (β = -.15, p < .001) als signifikante negative Prädiktoren für Jobzufriedenheit ermittelt. Die Funktionen Gemeinschaftsgefühl (β = .20, p < .001) und Organisationsidentifikation (β = .27, p < .001) waren dagegen positive Prädiktoren und begünstigten Jobzufriedenheit. Die beiden übrigen Funktionen Strategische Einflussnahme und Kontaktaufbau waren im Modell nicht signifikant.

FF5: Inwiefern beeinflussen a) die Häufigkeit und b) die Intensität der informellen Kommunikation die Jobzufriedenheit?

Häufigkeit und Intensität waren im selben Regressionsmodell keine signifikanten Einflussgrößen für die Jobzufriedenheit.

Literatur

Burke, L. A., & Wise, J. M. (2003). The effective care, handling, and pruning of the office grapevine. Business Horizons, 46(3), 71-76. https://doi.org/10.1016/S0007-6813(03)00031-4

Fay, M. J. (2011). Informal communication of co-workers. A thematic analysis of messages. Qualitative Research in Organizations and Management. An International Journal, 6(3), 212-229. https://doi.org/10.1108/17465641111188394

Jecker, C., & Huck-Sandhu, S. (2020). Von der Information zur Orientierung. Zur (neuen) Rolle der internen Kommunikation in Selbstorganisationen. In O. Geramanis,, S. Hutmacher (Hrsg.), Der Mensch in der Selbstorganisation (S.365-371). Springer Gabler. https://doi.org/10.1007/978-3-658-27048-3_23

Kandlousi, N., Ali, A., & Abdollahi, A. (2010). Organizational citizenship behavior in concern of communication satisfaction: The role of the formal and informal communication. International Journal of Business and Management, 5(10), 51-61. https://doi.org/10.5539/ijbm.v5n10p51

Koch, T., & Denner, N. (2022). Informal communication in organizations: Work time wasted at the water-cooler or crucial exchange among co-workers?. Corporate Communications: An International Journal, 27(3), 494-508. https://doi.org/10.1108/CCIJ-08-2021-0087

Mast, C. (2014). Interne Unternehmenskommunikation: Mitarbeiter führen und motivieren. In A. Zerfaß, M. Piwinger (Hrsg.), Handbuch Unternehmenskommunikation (2. Aufl., S. 1121-1140). Springer Gabler. https://doi.org/10.1007/978-3-8349-4543-3_56

Methot, J. R., Rosado-Solomon, E. H., Downes, P. E., & Gabriel, A. S. (2021). Office chitchat as a social ritual: The uplifting yet distracting effects of daily small talk at work. Academy of Management Journal, 64(5), 1445-1471. https://doi.org/10.5465/amj.2018.1474

Michelson, G., & Mouly, S. (2000). Rumour and gossip in organisations: A conceptual study. Management Decision, 38(5), 339-346. https://doi.org/10.1108/0025174001034050

Pincus, J. D. (1986). Communication satisfaction, job satisfaction, and job performance. Human Communication Research, 12(3), 395–419. https://doi.org/10.1111/j.1468-2958.1986.tb00084.x

Steckbrief

Titel (deutsch): Informelle Kommunikation – „social glue“ von Unternehmen oder teure Ablenkung bei der Arbeit? Eine quantitative Befragung zu Ausmaß, Funktionen und Effekten von informeller Kommunikation in Organisationen
Titel (englisch):
Erhebungszeitraum: 12/2022–01/2023
Stichprobe (effektiv): 1.380
Stand der Informationen: 03.05.2023

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