Ort, Alexander & Sukalla, Freya

Risikoreiche Forschung?

Die potenziell schädlichen Auswirkungen der Verwendung von Stigmatisierungsskalen

Forschung zu Stigmatisierung steht vor großen ethischen Herausforderungen. Eine mögliche Gefahr der wissenschaftlichen Auseinandersetzung und Untersuchung von Stigmatisierung durch die Nutzung von Self-Report Skalen besteht darin, dass diese unbeabsichtigt die Stigmatisierung verstärken. Häufig verwendete Skalen zur Erfassung von Stigmatisierung(stendenzen) bei Befragten in wissenschaftlichen Studien beinhalten in der Regel Items, die Menschen direkt mit Vorurteilen bzw. negativen Stereotypen konfrontieren, die dem jeweiligen Stigma zugrunde liegen. Obwohl Befunde aus existierenden Studien, z. B. im Bereich der Priming-Forschung, darauf hindeuten, dass die Erfassung von Stigmatisierung unter Zuhilfenahme solcher Statements potenziell bestehende, stigmatisierende Überzeugungen aktivieren und verstärken könnte, wurden diese potentiell schädlichen Effekte in bisheriger Forschung vernachlässigt.

Methode

Diese experimentelle Studie untersucht, ob die Verwendung von Stigmatisierungsskalen mit negativen Stereotypen im Kontext von Forschung stigmatisierende Tendenzen gegenüber den betroffenen Gruppen fördern kann. Zur Beantwortung dieser Frage würde ein vorregistriertes Online-Experiment mit einem 2 (Stigmatisierungsskalen-Exposition: nein/ja) × 2 (Thema: PrEP-Anwender/WLS-Patienten) Design durchgeführt. Nach Einwilligung und Warm-up-Fragen zu Demografie, sozialen Vergleichstendenzen und eHealth-Literacy wurden die Teilnehmer:innen zufällig einer der vier experimentellen Gruppen zugewiesen und aufgefordert, auf Skalen zu antworten, die sich entweder auf PrEP-Anwender oder auf Gewichtsverlust-Chirurgie-Patienten bezogen. Insgesamt beinhaltet die Endstichprobe 762 Teilnehmer:innen (51,1% weiblich, 69,9% verfügen über Hochschulbildung) im Alter von 17 bis 87 Jahren (M = 49,7, SD = 16,4).

Ergebnisse

Die Ergebnisse zeigen, dass die zugrunde liegenden Mechanismen potenziell schädlicher Auswirkungen von Stigma-Skalen-Exposition genauso komplex und vielschichtig sind wie das Konzept von Stigma selbst. Die Konfrontation mit vorurteilsbehafteten oder stereotypen Items im Rahmen einer Studie zur Erfassung von Stigma können stigmatisierende Tendenzen sowohl erhöhen als auch verringern. Zukünftige Forschung sollte versuchen diese Ergebnisse zu replizieren und zu erweitern, um Umfang und Stärke negativer Auswirkungen für diese und andere Themen genauer zu bestimmen. Eine systematische Aufarbeitung würde es ermöglichen, die Mechanismen und Bedingungen zu untersuchen, unter denen solche negativen Auswirkungen auftreten und wie sie vermieden werden können. Diese Studie trägt somit zu kritischen Auseinandersetzung mit existierenden Forschungspraktiken bei.

Steckbrief

Titel (deutsch): Risikoreiche Forschung? Die potenziell schädlichen Auswirkungen der Verwendung von Stigmatisierungsskalen
Titel (englisch): Risky Research ? Exploring the Potentially Detrimental Effects of Employing Stigma Scale
Erhebungszeitraum: 06/2021–07/2021
Stichprobe (effektiv): 762
Stand der Informationen: 19.04.2023

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