Jeßen, Merle; Stein, Haye & Winkler, Vera

Über den Zusammenhang politischer Einstellung und der Bewertung lösungsorientierter Berichterstattung

Journalismus erfüllt eine Reihe wichtiger Aufgaben für die Gesellschaft. Grundsätzlich konstruiere er Öffentlichkeit, indem er Rezipient:innen Beobachtungen aus der Gesellschaft über Massenmedien zur Verfügung stellt. Dies stelle eine Grundlage für gesellschaftlichen Diskurs dar. Besonders bei Themen von gesamtgesellschaftlicher Relevanz, etwa der Klimakatastrophe oder sozialer (Un-)Gleichheit, ist der Journalismus hier von Bedeutung. (Taddicken & Neverla, 2019).

Mehr als nur das Bewusstsein für derartige Probleme zu schärfen, ist das Ziel des konstruktiven Journalismus. Dieser beleuchte Probleme auf kritische, lösungsorientierte Weise (Haagerup, 2015). Da Journalist:innen bewusst oder unbewusst von einer Vielzahl von Einflüssen betroffen sein können scheint es plausibel, dass sie im konstruktiven Journalismus solche Lösungsvorschläge präsentieren, die ihrer eigenen (politischen) Weltanschauung entsprechen. Dieses Bekenntnis von Journalist:innen, beispielsweise zum eher konservativen oder eher liberalen politischen Spektrum anzugehören, könne jedoch von Rezipient:innen wahrgenommen und bewertet werden. So würden einerseits, entsprechend dem Paradigma der Medienqualitätsforschung, Erwartungen der Rezipient:innen an die Objektivität eines Mediums enttäuscht, was zu einer negativen Wahrnehmung dessen führe (Korte & Dinter, 2019, siehe auch Meier, 2018). Andererseits nehmen Rezipient:innen bei ausreichendem Involvement schon ausgewogene Berichterstattung als stark verzerrt gegen die eigene Position wahr (Vallone et al., 1985). Gleichzeitig könnte eine Deckungsgleichheit zwischen Darstellung und politischer Einstellung der Rezipient:innen in einer übermäßig positiven Bewertung resultieren.

Diese Wahrnehmungen könnten den konstruktiven Journalismus vor ein Legitimationsproblem stellen, da Unabhängigkeit als „legitimierendes Element von Journalismus“ (Lauerer & Keel, 2019, S. 105) gelte.

Methode

Die Studie verwendet ein experimentelles (2x3 between-subjects) Design mit insgesamt drei lösungsorientierten Artikeln zum Thema Geschlechterungleichheit mit jeweils unterschiedlichen politischen Ausrichtungen (liberal, konservativ und ausgewogen).

Es wurden drei Textvarianten erstellt, die einem konstruktiven Nachrichtenbeitrag zum Thema „Gleichstellung von Frauen und Männern in Deutschland“ nachempfunden wurden. In einer Einleitung, die über alle Textvarianten hinweg gleich ist, wird Ungleichheit als Problem identifiziert und mit Zahlen einer Oxfam-Studie konkretisiert (Oxfam, 2020). Anschließend unterscheiden sich die Artikel hinsichtlich der Einordnung des Problems. Während der liberale Artikel die Ungleichheit auf einen Mangel von Frauen in Führungspositionen zurückführt, fordert der konservative Artikel, Frauen als Hausfrauen und Mütter mehr wertzuschätzen. Der ausgeglichene Artikel beschreibt lediglich, dass unterschiedliche Lösungsansätze denkbar seien.

Ergebnisse

Die Ergebnisse der Studie verdeutlichen, dass entgegen den Erwartungen aus der Medienqualitätsforschung ausgewogene Artikel nicht unbedingt besser bewertet werden als unausgeglichene. Dafür könnte jedoch die unausgeglichene Stichprobe verantwortlich sein. Außerdem konnte festgestellt werden, dass liberal eingestellte Rezipient:innen die liberal positionierten Artikel besser bewerteten als die konservativen Artikel. Die Forschungsfrage - Inwieweit hängt die Bewertung von in konstruktivem Journalismus vorgeschlagenen Lösungen von der politischen Voreinstellung der Rezipient:innen ab? - kann zusammenfassend damit beantwortet werden, dass in diesem Fall die liberale Voreinstellung der Rezipient:innen einen Einfluss auf die Bewertung der Artikel samt Lösungsvorschlägen hat.

Da es in dieser Forschungsarbeit mitunter um die Weiterentwicklung sowie Etablierungschancen des konstruktiven Journalismus geht, muss sich gefragt werden, was die Studienergebnisse für den konstruktiven Journalismus bedeuten. Konkret: Lösungsorientierter Journalismus muss sich beim Nennen und Erklären von Lösungen der Tatsache bewusst sein, dass Lösungen nur bestimmte Teile der Bevölkerung ansprechen, je nachdem, von welchem politischen Lager aus sie formuliert werden. Wenn es das Ziel dieser Art des Journalismus ist, nicht nur von Problemen und Katastrophen zu berichten, sondern mögliche Handlungsweisen zu benennen und die Bevölkerung zu engagieren, dann müssen diese Lösungsansätze vielfältig sein, um möglichst große Teile der Bevölkerung zu erreichen und von ihnen akzeptiert zu werden. Gemäß den Erkenntnissen von Lauerer und Keel (2019) ist Journalismus nicht immer neutral, sondern kann eine Verzerrung durch die redaktionelle Linie oder der persönlichen Einstellungen der Journalist:innen besitzen. Zudem weisen Ergebnisse von Lauerer und Keel (2019) sowie Lichter (2017) daraufhin, dass die journalistische Berichterstattung leicht linksorientiert ist. Überträgt man diese Erkenntnisse auf den lösungsorientierten Journalismus, bedeutet das, dass konservative Rezipient:innen weniger Abdeckung beim Aufzeigen und Umsetzen von Lösungen erfahren könnten. Dadurch könnte lösungsorientierter Journalismus auf ein Akzeptanzproblem stoßen.

Der lösungsorientierte Journalismus steht somit vor der Aufgabe, sich der Vielfalt politischer Einstellungen zu stellen und Lösungen zu kommunizieren, dass sie nicht als politische Stellungnahme wahrgenommen werden. Eine Möglichkeit wäre, auch hier das journalistische Qualitätsmerkmal der Objektivität und Ausgewogenheit in den Vordergrund zu rücken, also in den Lösungsansätzen widerzuspiegeln. Auf diesem Weg könnte es konstruktiven Journalismus gelingen, sich fest in der Gesellschaft zu etablieren. Dann könnte konstruktiver Journalismus seine angedachte Wirkung erzielen und einen Mehrwert für die Gesellschaft darzustellen. Andernfalls könnte lösungsorientierter Journalismus sogar zu einer Polarisierung der Gesellschaft beitragen.

Literatur

Haagerup, U. (2015). Constructive News. Warum „bad news“ die Medien zerstören und wie Journalisten mit einem völlig neuen Ansatz wieder Menschen berühren. Oberauer.​

Korte, K. R., & Dinter, J. (2019). Kritische Distanz und Vertrauen in Medien. In Bürger, Medien und Politik im Ruhrgebiet (S. 25–35). Springer VS, Wiesbaden.​

Lauerer, C., & Keel, G. (2019). Journalismus zwischen Unabhängigkeit und Einfluss. In Journalismus in Deutschland, Österreich und der Schweiz (S. 103–134). Springer VS, Wiesbaden.​

Lichter, S. R. (2017). Theories of Media Bias. In K. Kenski & K. H. Jamieson (Hrsg.), The Oxford Handbooks of Poltical Communication (S. 403-416). https://doi.org/10.1093/oxfordhb/9780199793471.013.44_update_001

Meier, K. (2018). Journalistik (Vol. 2958). UTB.​

Oxfam (2020). Im Schatten der Profite. Wie die systematische Abwertung von Hausarbeit, Pflege und Fürsorge Ungleichheit schafft und vertieft. Berlin. https://www.oxfam.de/system/files/2020_oxfam_ungleichheit_studie_deutsch_schatten-der-profite.pdf. Zugegriffen: 29. August 2021.

Taddicken, M., & Neverla, I. (2019). Über den Zusammenhang zwischen Mediennutzung, Wissen und Einstellung. Ergebnisse aus der Panelbefragung. In Klimawandel im Kopf (S. 31–52). Springer VS, Wiesbaden.

Vallone, R. P., Ross, L., Lepper, M. R. (1985). The hostile media phenomenon: biased perception and perceptions of media bias in coverage of the Beirut massacre. Journal of personality and social psychology, 49(3), 577–585. https://doi.org/10.1037//0022-3514.49.3.577

Steckbrief

Titel (deutsch): Über den Zusammenhang politischer Einstellung und der Bewertung lösungsorientierter Berichterstattung
Titel (englisch):
Erhebungszeitraum: 12/2021
Stichprobe (effektiv): 236
Stand der Informationen: 04.04.2023

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