Leiner, Dominik J.

Motive hinter der Nutzung von Streaming-Fernsehen

Folgt man dem Uses-and-Gratifications Approach, bieten unterschiedliche Medien unterschiedliche Leistungen (Gratifikationen). Je besser diese Gratifikationen die Bedürfnisse der Nutzer:innen befriedigen, desto eher werden die Medien künftig genutzt. Dass die Nutzer:innen Bedürfnisse haben und welche, haben frühere Studien meist daraus abgeleitet, was sie an Medien positiv wahrnehmen.

Wir haben das Konzept der Bedürfnisse und Motive im Rahmen der Medienauswahl detaillierter betrachtet. Die Idee von abstrakten Grundbedürfnissen und darauf aufbauenden Bedürfnissen höherer Ebene nach Maslow scheint für die Nutzung von Medien im 21. Jahrundert nur bedingt geeignet. Der Wunsch nach Zeitvertreib ist viel konkreter als die Grundbedürfnisse. Und wenn man im Zug noch schnell ein paar E-Mails bearbeiten möchte, dann konkurriert die E-Mail-App auf dem Smartphone noch lange nicht damit, abends Bekannte zu treffen, nur weil beides irgendwie der Selbstverwirklichung dient. Die Bedürfnisse, von denen wir in der Uses-and-Gratifications Forschung sprechen, sind also auf einer anderen Abstraktionsebene abgesiedelt als der Bedürfnis-Begriff aus der Psychologie. Womöglich tut sich die Forschung in dem Bereich auch deshalb so schwer, Habitualisierung in die Modelle zu integrieren, von einer klaren Abgrenzung der Begriffe Bedürfnis, Motiv und Motivation ganz zu schweigen.

Betrachtet man psychologische Modelle der Motivation, unterscheiden diese zwischen dem Auslöser einer Motivation (z.B. ein konkreter Mangel) und der damit verbundenen Handlungsdisposition. Sucht man im Kontext der Mediennutzung im öffentlichen Personenverkehr (Bus, U-Bahn, Zug) nach konkreten Mangelzuständen, liegt einer besonders nahe: Langweile. Man ist gezwungen, sich eine Weile im Verkehrsmittel aufzuhalten. Die Dauer wird dabei mehr oder weniger zuverlässig vom Fahrplan diktiert. Und während man diese Zeit dereinst mit gedruckten Medien und Walkman überbrücken musste, kann man heute zum Glück auf Smartphone, Tablet, Laptop und manchmal sogar eine stabile Internetverbindung zurückgreifen.

Wir greifen zwei Mangelzustände bzw. Alltagsprobleme heraus, welchen im öffentlichen Nahverkehr besonders häufig auftreten: Zum einen klassische Langeweile, also die Suche nach Unterhaltung. Und zum anderen beruflicher Druck, die Zeit effizient zum Arbeiten zu nutzen.

Es stellt sich - der oben geschilderten Zweiteilung von Motiven folgend - die Frage, inwiefern diese Alltagsprobleme mit Handlungsdispositionen verbunden sind. Oder anders formuliert: Welche Medienangebote nutzen Menschen, wenn sie mit einem der Alltagsprobleme konfrontiert sind? Und weil die zu füllende bzw. nutzende Zeit eine sehr rigide Rahmenbedingung darstellt, soll deren Einfluss nicht außer Acht gelassen werden.

Methode

Die Onlinebefragung gliedert sich in zwei Teile. Der erste Teil untersucht die Handlungsdispositionen. Dafür schildert der Fragebogen vier unterschiedliche hypothetische Situationen. Die Situationen unterscheiden sich im situational relevanten Alltagsproblem (Zeit füllen, also Langeweile bekämpfen, oder Zeit effizient nutzen) und in der Fahrtdauer (15 Minuten oder 50 Minuten). Die Befragten wurden gebeten zu beschreiben, was "man" in der jeweiligen Situation jeweils tun könne. In den offenen Nennungen waren explizit auch nicht-mediale Tätigkeiten erwünscht.

Der zweite Teil untersucht, welche Medienangebote in Abhängigkeit der vorgenannten Faktoren tatsächlich genutzt werden. Dafür wurden die Befragten gebeten, zwei konkrete Fahrten aus der letzten Zeit zu erinnern. Eine kurze Fahrt, und eine lange Fahrt. Für beide Fahrten sollten die Befragten berichten - hier geschlossen abgefragt - welche Medienangebote sie genutzt hatten.

Ergebnisse

Die offenen Nennungen der Handlungsdispositionen wurden nachträglich kodiert. Dass die Zielsetzung mit unterschiedlichen Medienangeboten einhergeht, liegt auf der Hand. Die ersten Befunde zeigen aber auch, dass die Fahrtdauer einen Einfluss darauf hat, welche Medien man in Erwägung zieht. So werden informierende Medienangebote eher bei längeren Fahrten genutzt. Außerdem werden Dienste, bei denen man selbst aktiv nach Inhalten suchen muss, eher auf längeren Fahrten benutzt. Womöglich wird das automatische Berieseln mittels Algorithmus nach einer Weile langweilig - die Auswertung ist in diesem Punkt aber noch nicht abgeschlossen.

In Hinblick auf die tatsächlich Nutzung ist zunächst klar erkennbar: Wenn Menschen im öffentlichen Personenverkehr die verfügbare Zeit füllen möchten, greifen sie eher zu Unterhaltungsangeboten. Wenn sie die Zeit effektiv nutzen möchten, greifen sie eher zu informativen Medienangeboten. Die Fahrtdauer hat vor allem einen Einfluss auf die Nutzung audiovisueller Angebote. Während Audio-Angebote wie Musik-Streaming und Podcasts unabhängig von der Fahrtdauer genutzt werden, nutzen die Befragten Video-Angebote wie YouTube und das Streaming von Serien und Filmen erst auf längeren Strecken.

Steckbrief

Titel (deutsch): Motive hinter der Nutzung von Streaming-Fernsehen
Titel (englisch): Motives behind Using Streaming Televion (SVoD)
Erhebungszeitraum: 01/2022–02/2022
Stichprobe (effektiv): 192
Stand der Informationen: 20.03.2023

Kontakt

Dr. Dominik Leiner

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