Klauke, Fabian; Gerdes, Ronja & Kauffeld, Simone

Wir gehören nicht zu Echsenmenschen

Zugehörigkeitsunsicherheit und Verschwörungsglauben in Ost- und Westdeutschland

Im Jahr 2019 stimmten 38,5 % der Befragten der Mitte-Studie tendenziell allen Verschwörungstheorien zu, mit denen sie im Zuge der Umfrage konfrontiert wurden (Rees & Lamberty, 2019). Vorherige Studien zeigten, dass Ostdeutsche eher an Verschwörungstheorien glauben als Westdeutsche (Decker, Kiess, Eggers, & Brähler, 2016). In der Studie, die wir im SoSci-Panel durchgeführt haben, untersuchen wir mögliche Erklärungen für einen Unterschied im Verschwörungsglauben zwischen Ost- und Westdeutschen.

Zugehörigkeitsunsicherheit (Belonging Uncertainty) beschreibt die Unsicherheit, in einer sozialen Situation dazuzugehören (Walton & Cohen, 2007). Ostdeutsche könnten aufgrund der durchlebten Erfahrungen radikaler sozialer, ökonomischer und politischer Veränderungen und aufgrund anhaltender Benachteiligungen im Vergleich zu Westdeutschen (Goedicke, 2006) möglicherweise Zugehörigkeitsunsicherheit gegenüber der deutschen Gesellschaft empfinden. Bezüglich Unsicherheit (van Prooijen & Jostmann, 2013) und sozialer Ausgrenzung (Graeupner & Coman, 2017) wurden bereits Zusammenhänge zu Verschwörungsglauben entdeckt, weshalb wir untersuchen, ob und wie Zugehörigkeitsunsicherheit und Verschwörungsglauben zusammenhängen.

Verschwörungsglauben hängt mit politischer Entfremdung zusammen (Swami, 2012). Andererseits könnte Verschwörungsglauben als Werkzeug der zur Rechtfertigung des bestehenden Systems dienen (Jolley, Douglas, & Sutton, 2018). EinwohnerInnen post-kommunistischer Länder zeigen weniger Systemrechtfertigung und fühlen sich häufiger politisch entfremdet als EinwohnerInnen westlich-kapitalistischer Länder (Cichocka & Jost, 2014).

Deshalb nehmen wir an, dass Ostdeutsche mehr politische Entfremdung und weniger Systemrechtfertigung als Westdeutsche zeigen. Außerdem wird untersucht, inwiefern Zugehörigkeitsunsicherheit die Effekte von ost- oder westdeutscher Identifikation auf Verschwörungsglauben, politische Entfremdung und Systemrechtfertigung beeinflusst.

Methode

In der korrelativen Online-Befragung im SoSci-Panel wurden Zugehörigkeitsunsicherheit, Verschwörungsglauben, politische Entfremdung und Systemrechtfertigung mittels Selbstberichtsfragebögen erhoben. Am Ende der Umfrage beantworteten die Teilnehmenden die Frage, ob sie sich selbst als Ost- oder Westdeutsch identifizieren würden. Insgesamt füllten N = 894 Personen die Online-Befragung vollständig aus. n = 185 (20.69 %) der Befragten identifizierten sich als Ostdeutsch und n = 709 (79.31 %) als Westdeutsch.

Ergebnisse

Ostdeutsche zeigen mehr Verschwörungsglauben als Westdeutsche. Zugehörigkeitsunsicherheit und Verschwörungsglauben hängen positiv miteinander zusammen. Hinsichtlich der Zugehörigkeitsunsicherheit zeigen sich allerdings keine Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschen. Ostdeutsche zeigen weniger Systemrechtfertigung als Westdeutsche und mehr politische Entfremdung. Indirekte Effekte von Zugehörigkeitsunsicherheit treten nicht auf, weder (1) auf den Effekt zwischen regionaler Identifikation und Verschwörungsglauben, (2) auf den Effekt zwischen regionaler Identifikation und politischer Entfremdung, noch (3) auf den Effekt zwischen regionaler Identifikation und Systemrechtfertigung.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass zwar die erwarteten Unterschiede im Verschwörungsglauben, in Systemrechtfertigung und politischer Entfremdung auftreten, Zugehörigkeitsunsicherheit diese Unterschiede aber nicht erklären kann.

Einschränkend sei betont, dass die Versuchspersonen sich bei der Frage, ob sie sich als Ost- oder Westdeutsch identifizieren, für eine Option entscheiden mussten. Dabei ist denkbar, dass manche Deutsche sich nicht oder in geringem Ausmaß als Ost- oder Westdeutsch identifizieren. Ob sich die Gruppenzuteilung auf die Realität übertragen lässt, muss hinterfragt werden. Des Weiteren handelt es sich um eine korrelative Messung: Rückschlüsse auf kausale Zusammenhänge können nicht abgeleitet werden.

Literatur

Cichocka, A., & Jost, J. T. (2014). Stripped of illusions? Exploring system justification processes in capitalist and post-Communist societies. International Journal of Psychology, 49(1), 6-29. DOI: 10.1002/ijop.12011

Decker, O. Kiess, J., Eggers, E., & Brähler, E. (2016). Die »Mitte«-Studie 2016: Methode, Ergebnisse und Langzeitverlauf. In O. Decker, J. Kiess, & E. Brähler (Eds.), Die enthemmte Mitte. Autoritäre und rechtsextreme Einstellung in Deutschland. Die Leipziger »Mitte«-Studie 2016. (pp. 23-66). Gießen: Psychosozial-Verlag.

German Institute for Economic Research. (2019). About us. Socio-Economic Panel [Homepage]. Retrieved from https://www.diw.de/en/diw_02.c.299771.en/about_soep.html

Goedicke, A. (2006). A ‘Ready-Made State’: The Mode of Institutional Transition in East Germany after 1989. In M. Diewald, A. Goedicke, & K. U. Mayer (Eds.), After the Fall of the Wall. Life Courses in the Transformation of East Germany (pp. 44-64). Stanford: University Press.

Graeupner, D., & Coman, A. (2017). The dark side of meaning-making: How social exclusion leads to superstitious thinking. Journal of Experimental Social Psychology, 69, 218-222. DOI: 10.1016/j.jesp.2016.10.003

Jolley, D., Douglas, K. M., & Sutton, R. M. (2018). Blaming a Few Bad Apples to Save a Threatened Barrel: The System-Justifying Function of Conspiracy Theories. Political Psychology, 39(2), 465-478. DOI: 10.1111/pops.12404

Rees, J. H., & Lamberty, P. (2019). Mitreißende Wahrheiten: Verschwörungsmythen als Gefahr für den gesellschaftlichen Zusammenhalt. In A. Zick, B. Küpper, & W. Berghan (Eds.), Verlorene Mitte – Feindselige Zustände. Rechtsextreme Einstellungen in Deutschland 2018/19 (pp. 203-222). Bonn: J. H. W. Dietz Nachf.

Swami, V. (2012). Social psychological origins of conspiracy theories: the case of Jewish conspiracy theory in Malaysia. Frontiers in Psychology, 3: 280. DOI: 10.3389/fpsyg.2012.00280

Van Prooijen, J.-W., & Jostmann, N. B. (2013). Belief in conspiracy theories: The influence of uncertainty and perceived morality. European Journal of Social Psychology, 43, 109-115. DOI: 10.1002/ejsp.1922

Walton, G. M., & Cohen, G. L. (2007). A Question of Belonging: Race, Social Fit, and Achievement. Journal of Personality and Social Psychology, 92(1), 82-96. DOI: 10.1037/0022-3514.92.1.82

Steckbrief

Titel (deutsch): Wir gehören nicht zu Echsenmenschen. Zugehörigkeitsunsicherheit und Verschwörungsglauben in Ost- und Westdeutschland
Titel (englisch): We don’t belong with Lizard People. Belonging Uncertainty and Conspiracy Beliefs in Eastern and Western Germany
Erhebungszeitraum: 06/2019
Stichprobe (effektiv): 894
Stand der Informationen: 29.10.2019

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Ronja Gerdes

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