Baur, Carolin; Souček, Roman; Kühnen, Ulrich & Baumeister, Roy F.

Identifikation macht den Unterschied

Zusammenhang einer akuten Erschöpfung der Willenskraft und der Bereitschaft zu unethischem pro-organisationalen Verhalten

Das Konzept der Erschöpfung der Willenskraft wurde von Baumeister und Kollegen (z. B. Baumeister, Bratslavsky, Muraven, & Tice, 1998) in die sozialpsychologische Forschung eingeführt, und besagt, dass jeder Mensch nur ein begrenztes Maß an Willenskraft besitzt. Diese limitierte Ressource, die auch als Selbstkontrollstärke bezeichnet wird, ist vorübergehend leicht erschöpfbar und wird durch alle Aktivitäten, die mit Selbstkontrolle verbunden sind, verbraucht. Eine Erschöpfung der Willenskraft hat zur Folge, dass erfolgreiche Selbstkontrolle weniger wahrscheinlich wird. In einer Reihe von Experimenten zeigte sich, dass tatsächlich verschiedenste Aktivitäten der Selbstregulierung, einschließlich der Steuerung von Gedanken, Gefühlen, Impulsen sowie das Treffen von Entscheidungen und andere Exekutivfunktionen von der Verfügbarkeit dieser Ressource beeinflusst wird (vgl. Hagger, Wood, Stiff, & Chatzisarantis, 2010).

Obgleich Gailliot und Baumeister (2005) darauf hingewiesen haben, dass eine akute Erschöpfung der Willenskraft auch einen Einfluss auf ethisches Entscheidungsverhalten haben könnte, liegen bisher nur wenige empirische Studien zu diesem Thema vor. Die bislang vorliegenden Ergebnisse weisen jedoch fast ausnahmslos in eine Richtung: Eine Erschöpfung der Willenskraft begünstigt unethisches Verhalten, welches im Interesse der eigenen Person liegt (z. B. Gino, Schweitzer, Mead, & Ariely, 2011). Wie verhält es sich jedoch im Hinblick auf unethisches Verhalten, welches im Interesse der Organisation bei der man beschäftigt ist, erfolgt? Wie wirkt sich eine akute Erschöpfung der Willenskraft auf derartiges, sogenanntes unethisches pro-organisationales, Verhalten (z. B. Umphress, Bingham, & Mitchell, 2010) aus? Diese Frage stellte den Ausgangspunkt für unsere Untersuchung dar.

Basierend auf theoretischen Annahmen und empirischen Belegen aus der evolutionären Verhaltensforschung (z. B. Tomasello & Vaish, 2013) prognostizierten wir einen unterschiedlichen Zusammenhang einer akuten Erschöpfung der Willenskraft und der Bereitschaft zu unethischem pro-organisationalen Verhalten je nach Grad der Identifikation mit der Organisation. Wie vorhergesagt, zeigten die Ergebnisse der Studie mit 1272 Beschäftigten eine hochsignifikante Interaktion der Identifikation mit der Organisation und momentaner Stärke der Willenskraft: Eine akute Erschöpfung der Willenskraft war in der Tat mit einer höheren Bereitschaft verbunden, sich im Interesse der Organisation unethisch zu verhalten, allerdings nur bei den Beschäftigten, die sich stark mit der Organisation identifizierten. Unter denjenigen, die sich wenig oder gar nicht mit der Organisation identifizierten, stand eine akute Erschöpfung der Willenskraft mit einer geringeren Bereitschaft sich im Interesse der Organisation unethisch zu verhalten, in Verbindung.

Literatur

Baumeister, R. F., Bratslavsky, E., Muraven, M., & Tice, D. M. (1998). Ego depletion: Is the active self a limited resource? Journal of Personality and Social Psychology, 74(5), 1252–1265. doi:10.1037/0022-3514.74.5.1252

Baumeister, R. F., & Gailliot, M. T. (2005). Self-control and business ethics: How strengthening the self benefits the corporation and the individual. In C. L. Jurkiewicz, C. Dunn, & R. A. Giacalone (Eds.), Ethics in practice. Positive psychology in business ethics and corporate responsibility (pp. 231–247). Greenwich, CT: Information Age Pub.

Gino, F., Schweitzer, M. E., Mead, N. L., & Ariely, D. (2011). Unable to resist temptation: How self-control depletion promotes unethical behavior. Organizational Behavior and Human Decision Processes, 115(2), 191–203. doi:10.1016/j.obhdp.2011.03.001

Hagger, M. S., Wood, C., Stiff, C., & Chatzisarantis, N. L. D. (2010). Ego depletion and the strength model of self-control: A meta-analysis. Psychological Bulletin, 136(4), 495–525. doi:10.1037/a0019486

Tomasello, M., & Vaish, A. (2013). Origins of human cooperation and morality. Annual Review of Psychology, 64, 231–255. doi:10.1146/annurev-psych-113011-143812

Umphress, E. E., Bingham, J. B., & Mitchell, M. S. (2010). Unethical behavior in the name of the company: The moderating effect of organizational identification and positive reciprocity beliefs on unethical pro-organizational behavior. The Journal of Applied Psychology, 95(4), 769–780. doi:10.1037/a0019214

Steckbrief

Titel (deutsch): Identifikation macht den Unterschied: Zusammenhang einer akuten Erschöpfung der Willenskraft und der Bereitschaft zu unethischem pro-organisationalen Verhalten
Titel (englisch): Identification makes the difference: The relationship between ego depletion and the willingness to engage in unethical pro-organizational behavior
Erhebungszeitraum: 03/2015–04/2015
Stichprobe (effektiv): 1.272
Stand der Informationen: 25.10.2016

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Dipl.-Sozialw. Univ. Carolin Baur

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