Leiner, Dominik J.

Die Stabilität der öffentlichen Meinung

Die Studie befasst sich mit der Entwicklung bzw. Veränderung der öffentlichen Meinung. Wovon hängt es ab, ob sich die Meinung zu einem Thema stark verändert oder nicht? Sind solche Änderungen nachhaltig oder nicht? Eine relativ banale Erklärung für Meinungsänderungen liegt in der Medienberichterstattung: Da man von den meisten Themen nur aus den Medien erfährt, sind Meinungsänderungen bei solchen Themen wahrscheinlicher, über die viel berichtet wird. Eine weitere mögliche Erklärung liegt beim Bürger: Ist die Meinung zu einem Thema im individuellen Weltbild gut verankert, so sind Meinungsänderungen eher unwahrscheinlich. Eine dritte Erklärung geht über das Individuum hinaus: Ist die öffentliche Meinung zu einem Thema generell gut verankert, so sind weniger Meinungsänderungen zu erwarten, als wenn das nicht der Fall ist – bei neuen Themen zum Beispiel.

Um die Entwicklung der öffentlichen Meinung im SoSci Panel adäquat nachzubilden, wurde 12 Monate lang befragt: Monatlich nahmen mehr als 800 Personen an der Befragung teil – die bisher größte Befragung im SoSci Panel. So ließ sich zwischen den Monaten die Entwicklung der Meinungen genau verfolgen. Zusätzlich wurde jeder Teilnehmer zweimal befragt: So konnte nicht nur die Veränderung im Mittel aller Befragter beobachtet werden, sondern auch individuelle Meinungsänderungen. Neben der Befragung zu den 17 Themen (von Abtreibung bis zur Zuwanderung von Ausländern) wurde jeder Teilnehmer im Detail zu einem der Themen befragt: So konnte ermittelt werden, wie stark die individuelle Meinung jeweils verankert ist. Also zum Beispiel, wie sicher man sich der Meinung ist, oder wie stark positive und negative Aspekte eines Themas in Konkurrenz treten – ob man bei einem Thema also beispielsweise ähnlich viele Vor- und Nachteile sieht.

Zunächst bestätigten die Messungen aber eine – sowohl in der Literatur als auch von den Befragten – häufig geäußerte Kritik: Die Komplexität individueller Meinungen und Ansichten kann anhand von zwei oder drei Auswahloptionen (z.B. dafür/neutral/dagegen) oftmals nicht adäquat erfasst werden. Ihre Meinung zu den NATO-Luftangriffen auf Serbien und den Kosovo (1999) änderten bis zu 17 % der Befragten innerhalb von zwei Monaten – rein rechnerisch! Tatsächlich einer Meinungsänderung bewusst waren sich allerdings nur 0,8 % der Befragten. Auch wenn die Meinungsänderungen bei anderen Themen geringer ausfielen (am geringsten zur deutsch-deutschen Wiedervereinigung mit gerade einmal 3 % Meinungsänderungen): Die Befunde sprechen dafür, dass die stark vereinfachte Frage nach der Meinung wesentlich vom aktuellen Kontext abhängt und nur zum Teil die tatsächliche Meinung („Einstellung“) des Befragten abbildet. Dennoch wird diese Form der Frage regelmäßig verwendet, um die aktuelle Meinungsverteilung in der Bevölkerung zu erheben – und auch Volksabstimmungen (z.B. Volksentscheide) lassen in aller Regel nur die Auswahl zwischen zwei Optionen.

Der Umfang der aktuellen Berichterstattung wurde in der vorliegenden Studie nur am Rande beobachtet. Wenig überraschend zeigte sich ein deutlicher Einfluss: Je mehr über ein Thema berichtet wurde, desto stärker veränderten sich auch die individuellen Meinungen.

Für die Stabilität der individuellen Meinung, für die Verankerung der Meinung also, erwiesen sich vor allem fünf Eigenschaften von Meinungen („Einstellungsattribute“) als relevant: Je einfacher ein Teilnehmer seine Meinung äußern konnte (gemessen anhand der Antwort- bzw. Reaktionszeit) und je ausgeprägter (also je extremer) eine Meinung in der differenzierten Messung war, desto stabiler war die Meinung über einen Zeitraum von 8 Wochen. Hingegen waren mehr Meinungsänderungen zu beachten, wenn ein Befragter das Thema als widersprüchlich wahrnahm, wenn ihm/ihr widersprüchliche Argumente zum Thema bekannt waren und wenn er/sie sich bei der Meinungsäußerung nach eigenen Angaben generell unsicher fühlte. Hingegen erwies sich die Stabilität als weitgehend unabhängig davon, ob Herz und Verstand sich in der Beurteilung einig waren, wie wichtig das Thema dem Befragten war, ob er/sie vom Thema direkt betroffen war oder wie intensiv sich der Befragte mit dem Thema bereits auseinandergesetzt hatte. Und zwar weitgehend unabhängig davon, ob es nun um die NATO-Luftangriffe auf Libyen oder um Kernkraft ging.

Für politische Entscheidungen ist es freilich weniger relevant, ob einzelne Bürger ihre Meinung ändern – hier steht die Meinungsverteilung in der Gesamtbevölkerung im Mittelpunkt. Zur Untersuchung, was (abseits vom Umfang der Medienberichterstattung) Schwankungen der Bevölkerungsmeinung begünstigt, wurde die individuelle Wahrnehmung der 17 Themen damit verglichen, wie sich die Meinungsverhältnisse zu einem Thema über die 12 Monate der Erhebung veränderten. Für diese Veränderung ist es weniger relevant, dass sich einzelne Meinungen ändern, als vielmehr, dass viele Menschen zugleich ihre Meinung (in derselben Richtung) ändern.

Derart synchrone Meinungsschwankungen treten vor allem bei Themen auf, von denen Menschen weniger direkt betroffen sind (z.B. die Todesstrafe oder die NATO-Luftangriffe auf Libyen), die sie eher für unwichtig halten (z.B. die Legalisierung von Marihuana) und mit denen sie sich bisher wenig beschäftigt haben (z.B. die Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften mit der Ehe). Meinungsschwankungen kommt es auch entgegen, wenn ein Thema überwiegend negativ wahrgenommen wird (z.B. der Irak-Krieg 2003) und wenn Gefühle und sachliche Bewertungen sich potenziell widersprechen (z.B. bei der Abschaffung der Wehrpflicht). Eine plausible Interpretation ist, dass die Medienberichterstattung gerade bei solchen Themen einen besonders starken Einfluss auf die Bevölkerungsmeinung hat. Um so interessanter: Eine generelle Unsicherheit gegenüber einem Thema, geringes Wissen oder die Situation, dass mit einem Thema sowohl positive wie auch negative Folgen verbunden sind (z.B. mit dem Euro oder der Abschaffung der Wehrpflicht), stehen mit Meinungsschwankungen nicht in Zusammenhang – obwohl diese Faktoren Schwankungen auf individueller Ebene durchaus begünstigen (s. oben).

Zusammenfassend erlaubt die Studie mindestens zwei Schlüsse: Erstens bildet eine Meinungsfrage mit zwei oder drei Antwortoptionen – wie sie vielfach in den Medien zitiert wird und wohl auch politische Entscheidungen beeinflusst – die tatsächliche, individuelle Meinung nur schlecht ab. Und zweitens variiert der Einfluss der Medien auf die öffentliche Meinung stark – je nach Thema. Die Studie kann damit einige neue Befunde zu der Frage liefern, wie öffentliche Meinung im allgemeinen und Populismus im Speziellen funktionieren.

Steckbrief

Titel (deutsch): Die Stabilität der öffentlichen Meinung
Titel (englisch): Stability of Public Opinion
Erhebungszeitraum: 07/2011–10/2012
Stichprobe (effektiv): 9.930
Stand der Informationen: 01.06.2014

Weitere Informationen

Zusammenfassung">https://www.soscisurvey.de/panel/studies/Leiner.2014-06.pdf">Zusammenfassung mit Diagrammen zu den einzelnen Themen

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