Ulrich, Susanne; Flanagin Virginia L. & Grill, Eva

Studie zu Orientierungsstrategien in unbekannten Umgebungen

Menschen verwenden verschiedene Strategien, um sich in für sie unbekannter Umgebung zu orientieren (Lawton 1994; Lawton und Kallai 2002). Routentypen orientieren sich an örtlichen Orientierungspunkten, zum Beispiel auffallenden Gebäuden und benutzen gerne Informationen zum Routenverlauf, zum Beispiel „siebte Seitenstraße von rechts“ und „links an der Kirche abbiegen“. Orientierungstypen benutzen globale Orientierungspunkte wie Himmelsrichtungen, Entfernungen oder den Sonnenstand. Orientierungstypen haben oft die Umgebung als Überblickskarte wie aus einer Vogelperspektive im Kopf (Burgess et al. 2002; O'Keefe und Dostrovsky 1971) (Lawton 1994). Eine typische Wegbeschreibung, mit der ein Orientierungstyp etwas anfangen kann, wäre zum Beispiel: „in 20 Metern nach Norden abbiegen“.

Welcher Orientierungstyp man ist, lässt sich anhand der genannten Beispiele gut erfragen. Dabei gibt es Menschen, die überwiegend die eine oder die andere Strategie verwenden, Menschen, die sehr flexibel beide verwenden können (flexible Strategen), und auch Menschen, die keine ausgeprägte Strategie haben (unbestimmte Strategen). Da räumliche Orientierung eine Funktion des Gleichgewichtssystems sein kann, hat uns besonders interessiert, ob es einen Zusammenhang zwischen Schwindelsymptomen und Orientierungsstrategie gibt.

In unserer Studie waren 28 Prozent der Teilnehmenden eindeutige Routentypen, und 22 Prozent eindeutige Orientierungstypen. Keine definitive Strategie hatten 20 Prozent (unbestimmte Strategen), 29 Prozent waren flexible Strategen.

Wir konnten bisherige Studien bestätigen (Charleston 2008; Hund und Minarik 2006; Lawton 1994). Wie schon früher gezeigt, haben Männer (40.2%) und älteren Personen bevorzugt die Orientierungsstrategie verwendet, Frauen gaben überwiegend an, die Routenstrategie zu verwenden. Mit zunehmendem Bildungsabschluss zeigten sich auch höhere Punktzahlen in beiden Strategien.

Teilnehmende mit Schwindelsymptomatik waren tendenziell seltener Orientierungstypen. Wir vermuten daher, dass der Gleichgewichtssinn wichtige Informationen für eine effiziente Wegfindung und räumliche Orientierung liefert (Brandt et al. 2005; Kremmyda et al. 2016).

Je besser eine Person die eigene Orientierungsfähigkeit eingeschätzt hat, desto selbstbewusster und sicherer ist sie in Wegfindungssituation (zum Beispiel, wenn es darum geht, das eigene Auto in einem großen Parkhaus wiederzufinden); Menschen, die hier hohe Sicherheit berichteten, waren überwiegend Orientierungstypen. Dagegen waren Menschen, die oft technische Navigationssysteme zur Wegfindung benutzen (das waren 44 Prozent der Befragten), überwiegend Routentypen.

Literaturverzeichnis

Brandt, T., Schautzer, F., Hamilton, D. A., Brüning, R., Markowitsch, H. J., Kalla, R., Darlington, C., Smith, P. & Strupp, M. (2005). Vestibular loss causes hippocampal atrophy and impaired spatial memory in humans. Brain: a journal of neurology 128 (Pt 11), 2732–2741. doi:10.1093/brain/awh617

Burgess, N., Maguire, E. A. & O'Keefe, J. (2002). The human hippocampus and spatial and episodic memory. Neuron 35 (4), 625–641.

Charleston, S. (2008). The International Wayfinding Strategy Scale: evidence for cross-cultural use with a sample from the UK. Perceptual and motor skills 106 (3), 881–882. doi:10.2466/pms.106.3.881-882

Hund, A. M. & Minarik, J. L. (2006). Getting From Here to There. Spatial Anxiety, Wayfinding Strategies, Direction Type, and Wayfinding Efficiency. Spatial Cognition & Computation 6 (3), 179–201. doi:10.1207/s15427633scc0603_1

Kremmyda, O., Hüfner, K., Flanagin, V. L., Hamilton, D. A., Linn, J., Strupp, M., Jahn, K. & Brandt, T. (2016). Beyond Dizziness: Virtual Navigation, Spatial Anxiety and Hippocampal Volume in Bilateral Vestibulopathy. Frontiers in human neuroscience 10, 139. doi:10.3389/fnhum.2016.00139

Lawton, C. A. (1994). Gender differences in way-finding strategies. Relationship to spatial ability and spatial anxiety. Sex Roles 30 (11-12), 765–779. doi:10.1007/bf01544230

Lawton, C. A. & Kallai, J. (2002). Gender Differences in Wayfinding Strategies and Anxiety About Wayfinding: A Cross-Cultural Comparison. Sex Roles 47 (9/10), 389–401. doi:10.1023/A:1021668724970

O'Keefe, J. & Dostrovsky, J. (1971). The hippocampus as a spatial map. Preliminary evidence from unit activity in the freely-moving rat. Brain research 34 (1), 171–175.

Steckbrief

Titel (deutsch): Studie zu Orientierungsstrategien in unbekannten Umgebungen
Titel (englisch): Determinants of Wayfinding Strategies and Spatial Orientation
Erhebungszeitraum: 10/2016–11/2016
Stichprobe (effektiv): 1.233
Stand der Informationen: 30.01.2017

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