Schneider, Jan Georg; Butterworth, Judith; Hahn, Nadine; Albert, Georg & Koch, Ursula

Einstellungen zur gesprochenen Sprache auf dem Prüfstand

Wie bewerten Muttersprachler typische gesprochensprachliche Konstruktionen (in Hinblick auf die Standardsprachlichkeit)?

Während für die geschriebene Sprache ein kodifizierter Standard schon lang etabliert ist, fehlt für die gesprochene Sprache ein äquivalenter Orientierungspunkt. Häufig dominiert deswegen die Vorstellung: Sprich so wie du schreibst. Daher werden gesprochensprachliche Strukturen, die kein Äquivalent in der geschriebenen Sprache haben, häufig als defizitär abgewertet (vgl. z.B. die Grundgrammatik für Deutsch als Fremdsprache Kars / Häussermann 1997) oder sogar als Zeichen eines zunehmenden „Sprachverfalls“ interpretiert (siehe z.B. Sick 2004 und Folgebände, Schreiber 2006; vgl. hierzu Denkler et al. 2008, Schneider 2007, 2008a, b). Bislang wurde allerdings noch keine Untersuchung zu Spracheinstellungen bezüglich eines gesprochenen Standards durchgeführt.

Ziel dieser Studie war es zu untersuchen, wie mündliche Konstruktionen grundsätzlich bewertet werden und zu analysieren, welche Faktoren darauf einen Einfluss nehmen. Als Bezugspunkt für die Befragung wurde dabei die Schule gewählt, weil dort die Frage nach sprachlichen Normen eine besondere Rolle spielt. In den Bildungsstandards für das Fach Deutsch (2003) wird neben der Fähigkeit, Standardsprache und andere Varietäten in ihrer Funktion zu unterscheiden, das Sprechen in der Standardsprache als Ziel des Unterrichts definiert. Den Probanden wurden Hörbeispiele mit typischen gesprochensprachlichen Phänomenen präsentiert, die diese nach ihrer subjektiv empfundenen Angemessenheit für den Schulkontext beurteilen sollten. Im zweiten Teil wurden einige Fragen zur generellen Spracheinstellung und zur Orientierung an schriftsprachlichen Normen gestellt und soziodemographische Daten erhoben. Dabei lag ein besonderes Interesse auf der Unterscheidung zwischen Lehrkräften und Personen anderer Berufe.

Es zeigte sich, dass der Beruf und die Herkunft der Befragten mit ihrer Akzeptanz gesprochensprachlicher Phänomene und der generellen Spracheinstellung und Normorientierung korreliert. Lehrkräfte erwiesen sich als toleranter gegenüber den präsentierten Hörbeispielen als Personen anderer Berufe. Bezüglich der Korrelation mit der Herkunft der Befragten zeigte sich eine Nord-Süd-Verteilung: Befragte aus dem südlichen deutschen Sprachraum zeigten sich toleranter in Bezug auf die meisten der Varianten. Nur in Bezug auf die Adverbialklammer („Da haben wir doch eben schon einiges zu gesagt.“) waren die Probanden aus dem nördlichen Sprachraum toleranter. Es zeigte sich auch, dass eine geringe Akzeptanz der Beispiele mit der Befürchtung, die deutsche Sprache verfalle, korreliert. Zwischen Probanden unterschiedlichen Alters und unterschiedlichen Geschlechts zeigten sich keine signifikanten Unterschiede.

Literatur

Beschlüsse der Kultusministerkonferenz. Bildungsstandards im Fach Deutsch für den Mittleren Schulabschluss. Beschluss vom 04.12.2003.

Denkler, Markus et al. (2008). Frischwärts und unkaputtbar. Sprachverfall oder Sprachwandel im Deutschen. Münster: Aschendorff.

Kars, Jürgen / Ulrich Häussermann (1997). Grundgrammatik Deutsch. Braunschweig: Diesterweg.

Schneider, Jan Georg (2007). Sprache als kranker Organismus. Linguistische Anmerkungen zum „Spiegel“-Titel „Rettet dem Deutsch!“. Aptum. Zeitschrift für Sprachkritik und Sprachkultur 1, 1-23.

Schneider, Jan Georg (2008a). „Macht das Sinn?“ – Überlegungen zur Anglizismenkritik im Gesamtzusammenhang der populären Sprachkritik. Muttersprache 1, 56-71.

Schneider, Jan Georg (2008b). Das Phänomen Zwiebelfisch. Bastian Sicks Sprachkritik und die Rolle der Linguistik. Sprachdienst 4, 172-180.

Schneider, Jan Georg (2009). Was ist richtiges und gutes Deutsch? Sprachratgeber auf dem Prüfstand. Der Deutschunterricht 5 (2009); Themenheft „Sprachverfall?“ Hg. von Peter Schlobinski, 22-32.

Schreiber, Mathias (2006). Deutsch for sale. Der Spiegel 40, 182-198.

Sick, Bastian (2004). Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod. Ein Wegweiser durch den Irrgarten der deutschen Sprache. Köln: KiWi-Taschenbuch.

Steckbrief

Titel (deutsch): Einstellungen zur gesprochenen Sprache auf dem Prüfstand: Wie bewerten Muttersprachler typische gesprochensprachliche Konstruktionen (in Hinblick auf die Standardsprachlichkeit)?
Titel (englisch): Stances on spoken language put to test: How do German native speakers evaluate typical spoken language constructions (with regard to common standards)?
Erhebungszeitraum: 12/2015
Stichprobe (effektiv): 347
Stand der Informationen: 24.03.2016

Weitere Informationen

Projekt">https://www.uni-koblenz-landau.de/de/landau/fb6/germanistik/mitarbeiter/professoren/jan-schneider/projekt">Projekt Gesprochener Standard

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Prof. Dr. Jan Georg Schneider

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