Andress, Hans-Jürgen & Hörstermann, Katharina

Wie viel Hartz IV muss sein?

Eine Online-Vignettenanalyse zur Mindesthöhe von Hartz IV- Regelleistungen

Das Bundesverfassungsgericht kritisierte im Jahr 2010 die damaligen Hartz IV- Sätze (Arbeitslosengeld II, ALG II) als verfassungswidrig und mahnte eine transparente, realitätsgerechte und nachvollziehbare Neukalkulation an. Seit 2012 muss sich das Bundesverfassungsgericht erneut mit der Verfassungsmäßigkeit der Hartz IV- Sätze beschäftigen. In den Medien werden gleichzeitig immer wieder Reportagen und Berichte über Hartz IV- Empfänger und ihr Abrutschen in die Armut präsentiert und wissenschaftliche Studien deuten an, dass das Armutsrisiko für Arbeitslose seit der Einführung von Hartz IV stark angestiegen ist.

Angesichts der ständigen Diskussionen über Rechtmäßigkeit, Willkür und Angemessenheit von Hartz IV- Sätzen wird der Ruf nach alternativen Bemessungsgrundlagen laut. Wem sollte ALG II zustehen und vor allem, in welcher Höhe? Wir haben uns dieser Frage mit Hilfe einer Vignettenanalyse gewidmet, bei der den Befragten Beschreibungen verschiedener Haushaltstypen vorgelegt werden und sie angeben sollen, wie viel Euro der jeweilige Haushaltstyp pro Monat mindestens benötigt.

Die Ergebnisse sind auf den ersten Blick überraschend, decken sich aber mit den Ergebnissen ähnlicher wissenschaftlicher Studien: Die Befragten sind nicht bereit, (Langzeit-) Arbeitslose finanziell im großen Umfang zu unterstützen und schätzen den mindestens benötigten Bedarf zum Teil deutlich niedriger ein als die aktuellen Hartz IV- Sätze nach SGB II. Während beispielsweise einem ebenfalls erwerbslosen Partner in einer Bedarfsgemeinschaft nach SGB II ein Hartz IV- Satz von 345 Euro zusteht, sprechen die Befragten dieser Person nur 157 Euro zu. Auch bei den Regelsätzen für Kinder finden sich Unterschiede von durchschnittlich 100 Euro.

Bei ihrer Einschätzung von benötigten Hartz IV-Sätzen berücksichtigen die Befragten neben der Haushaltszusammensetzung (Anzahl Erwachsener und Kinder) dabei auch, ob die beschriebene Person unverschuldet (z.B. durch Insolvenz des Arbeitgebers) oder selbstverschuldet (z.B. Kündigung wegen Trunkenheit im Dienst) in Hartz IV geraten sind, wobei letzteren weniger Sozialleistungen zugesprochen werden. Außerdem werden Personen, die sich nicht aktiv um eine neue Stelle bemühen und den Auflagen der Arbeitsagentur nicht folgen (neudeutsch „hartzen“) deutlich sanktioniert. Im Schnitt werden diesen Personen 123 Euro weniger zugesprochen.

Diese Befunde lassen sich für verschiedene Bevölkerungsgruppen nachweisen, weswegen wir zusammenfassend festhalten, dass den aktuellen Hartz IV- Sätzen neben der Verfassungsmäßig aus die soziale Legitimierung zu fehlen scheint.

Steckbrief

Titel (deutsch): Wie viel Hartz IV muss sein? Eine Online-Vignettenanalyse zur Mindesthöhe von Hartz IV- Regelleistungen
Titel (englisch): How much Hartz IV is necessary? An online vignette analysis about a minimum income standard in Germany
Erhebungszeitraum: 02/2013–03/2013
Stichprobe (effektiv): 367
Stand der Informationen: 21.05.2013

Publikationen

Hörstermann, Katharina & Andreß, Hans-Jürgen. (2015). „Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen!“- Eine Vignettenanalyse zur Bestimmung eines Einkommensmindestbedarfs. Zeitschrift für Sozialreform (ZSR), 61(2), 171-198.

Weitere Informationen

Lehrstuhl für Empirische Sozial- und Wirtschaftsforschung, Universität zu Köln

Kontakt

Katharina Hörstermann

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