Kramer, Marlene E. & Wieser, Matthias J.

Die peinlichen Anderen

Untersuchung von Einflussfaktoren auf die Intensität der empfundenen Fremdscham

Fremdscham ist eine in der psychologischen Forschung noch wenig untersuchte Emotion. Neuere Ergebnisse kommen zu dem Schluss, dass „sich fremdschämen“ bedeutet, stellvertretend für eine andere Person und deren Verhalten Scham zu empfinden. Dieses Verhalten verletzt in den Augen des Beobachters die Norm oder die soziale Etikette, es kann ein Missgeschick oder eine absichtliche Handlung sein. Dabei muss sich die beobachtete Person, der Akteur der Handlung, der peinlichen Situation nicht zwangsläufig bewusst sein und es muss keinerlei Verbindung zwischen Akteur und Beobachter bestehen. Diese Definition beinhaltet viele Aspekte, beruht aber auf bisher wenigen empirischen Studien und ist daher möglicherweise ergänzungswürdig. Die durchgeführte Studie hatte zum Ziel, durch die Entwicklung eines Bilderkatalogs und durch die Untersuchung verschiedener Einflussfaktoren auf die Intensität der empfundenen Fremdscham die bisherigen Ergebnisse an einer großen Stichprobe zu überprüfen, zu validieren und zu ergänzen.

Die untersuchten Faktoren wurden mittels handgezeichneter, comicartiger Bilder sowie durch ein bis zwei kurze Sätze, die die auf den Bildern zu sehenden Situationen beschrieben, manipuliert. Die Erklärung, wie die Bilder betrachtet werden sollten, die Messung der Empathie des Beobachters und die Erhebung des Geschlechts der Teilnehmer bildeten weitere Variablen.

Einige der in dieser Studie getroffenen Annahmen wurden bestätigt und gehen damit mit bisherigen Ergebnissen zu Fremdscham und zu verwandten Emotionen einher. So wurde Fremdscham empfunden, wenn Normverletzungen zu beobachten waren. Es zeigte sich ein klarer Geschlechtereffekt, bei dem Frauen im Durchschnitt mehr Fremdscham empfanden als Männer. Desweiteren wurde bestätigt, dass Fremdscham im Zusammenhang mit der persönlichen Empathiefähigkeit des Beobachters steht, da es ein Teilaspekt der Empathie ist, sich in jemand anderen hineinversetzen zu können. Die Bitte an die Teilnehmer, sich die eigenen Gefühle und Gedanken vorzustellen, wenn sie an der Stelle der beobachteten Person wären, führte zu einer höheren Fremdscham, als die Bitte das Bild objektiv zu betrachten. Manipuliert wurde außerdem die Bekanntheit des Akteurs. Wie erwartet wurde für Freunde oder gute Kollegen mehr Fremdscham empfunden, als für unbekannte Personen.

Weitere Resultate warfen neue Fragen auf, da sie nicht mit bisherigen Befunden übereinstimmten. Konträr zu bisherigen Ergebnissen zeigte sich die Intensität der Fremdscham in dieser Studie höher bei Situationen, in denen sich der Beobachtete seiner Normverletzung und der Peinlichkeit seiner Situation nicht bewusst war. Desweiteren empfanden unerwarteter Weise sowohl Männer als auch Frauen mehr Fremdscham beim Beobachten von Normverletzungen weiblicher Akteure, als beim Beobachten männlicher. Weiterführende Studien sollten sich mit der Frage nach alternativen und zusätzlichen Emotionen beschäftigen, die durch die Bilder ausgelöst werden könnten. Die an bisherige Untersuchungen anknüpfende Messung physiologischer Werte kann ein nächster wichtiger Schritt in der Erforschung von Fremdscham sein, um hier aufgedeckte Unklarheiten zu beseitigen.

Zusammenfassend sind die bedeutendsten Ergebnisse dieser Studie für die wissenschaftliche Emotionsforschung die stärkere Fremdscham für Frauen und Bekannte und die in Fragestellung bisheriger Befunde zum Einfluss der Bewusstheit der Normverletzung.

Steckbrief

Titel (deutsch): Die peinlichen Anderen - Untersuchung von Einflussfaktoren auf die Intensität der empfundenen Fremdscham
Titel (englisch): Embarrassed by Others – Investigation of Influencing Factors with Regard to the Intensity of Perceived Vicarious Embarrassment
Erhebungszeitraum: 02/2013
Stichprobe (effektiv): 843
Stand der Informationen: 21.05.2013

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Marlene Kramer

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