Beeinflussen negative Geschlechterstereotype die Leistung in einem Test logisch-schlussfolgernder Fähigkeiten?
Im Oktober 2012 wurden die TeilnehmerInnen des SoSci Panels zu einer Studie zu logisch-schlussfolgernden Fähigkeiten eingeladen. In dieser Studie sollte erforscht werden, ob negative Stereotype gegenüber den logisch-schlussfolgernden Fähigkeiten von Frauen vorliegen. Wenn sich negative Stereotype finden, sollte die Leistung von Frauen, die vor der Bearbeitung eines Tests auf diese Stereotype aufmerksam gemacht wurden, schlechter ausfallen als die Leistung von Frauen in einer Kontrollbedingung.
Dieses sozialpsychologische Phänomen nennt sich Stereotype Threat (Steele & Aronson, 1995). Ursprünglich wurde in der Stereotype Threat-Forschung der Leistungsunterschied zwischen weißen und afroamerikanischen Personen in allgemeinen Intelligenztests thematisiert. Im Gegensatz zu anderen Forschungsansätzen, die von grundlegenden und genetisch bedingten Fähigkeitsunterschieden zwischen Weißen und Afroamerikanern ausgingen, konnten Steele & Aronson zeigen, dass auch die Testsituation selbst zu Leistungsunterschieden beitragen kann. Sie führten dazu eine Reihe von Experimenten durch. Wenn die Probanden vor der Bearbeitung eines Tests gesagt bekamen, dass es sich um einen Intelligenztest handelt, schnitten afroamerikanische Studierende signifikant schlechter ab als weiße Studierende. Wenn hingegen gesagt wurde, dass es sich um einen Test allgemeiner Problemlösefähigkeiten handelt, gab es keinen signifikanten Leistungsunterschied. Somit traten Gruppenunterschiede in der Leistung nur auf, wenn der Test als diagnostisch für Intelligenz beschrieben wurde – die Domäne, in der negative Stereotype gegenüber Afroamerikanern vorliegen. Dieser Effekt wurde „Stereotype Threat“ genannt – Bedrohung durch Stereotype. Wenn sich Mitglieder negativ stereotypisierter Gruppen in Leistungssituationen mit diesen Stereotypen konfrontiert sehen, werden sie u.a. von aufgabenirrelevanten Gedanken abgelenkt und können in der Folge nicht mehr ihre gesamte kognitive Kapazität der Aufgabe widmen. Daher kommt es zu einer Leistungsminderung, obwohl die Personen sich besonders anstrengen und sehr motiviert sind, das negative Stereotyp nicht zu bestätigen.
In der vorliegenden Studie wurde untersucht, ob sich vergleichbare Effekte der Testbeschreibung eines nonverbalen Intelligenztests finden (Raven’s Advanced Progressive Matrices, ein Muster von graphischen Symbolen soll logisch fortgesetzt werden). Die Hypothese war, dass Frauen schlechtere logisch-schlussfolgernde Fähigkeiten zugeschrieben werden als Männern.
Wir führten ein Experiment durch, bei dem die TeilnehmerInnen vor der Bearbeitung des Intelligenztests zufällig auf vier verschiedene Gruppen aufgeteilt wurden. In zwei Gruppen wurde den TeilnehmerInnen entweder gesagt, dass der Test logisch-schlussfolgernde Intelligenz misst (Stereotype Threat-Bedingung) oder dass der Test sich noch in der Entwicklung befindet (Kontrollbedingung). Hier wurde somit die Diagnostizität des Tests manipuliert (Steele & Aronson, 1995).
In den verbleibenden zwei Gruppen wurde den TeilnehmerInnen entweder gesagt, dass es in der Vergangenheit Unterschiede zwischen Männern und Frauen in der Testleistung gegeben hatte (Stereotype Threat-Bedinung) oder dass es keine Leistungsunterschiede gab (Kontrollbedingung). Somit wurde die Testfairness manipuliert (Keller, 2007). Nach dem Test wurden psychologische Variablen erhoben, die in der Vergangenheit den Stereotype Threat-Effekt mediierten oder moderierten: Motivation, Identifikation mit der Domäne, Selbstkonzept, Identifikation mit dem Geschlecht, eigener Glaube an das Stereotyp, Glaube an die Veränderbarkeit der eigenen logisch-schlussfolgernden Fähigkeiten.
Ergebnisse der Studie
- Bereinigte Stichprobe: N = 302 (124 männlich, 178 weiblich, mittleres Alter: 33,23 Jahre (SD = 11,86)
- Abhängige Variable: 5 Aufgaben aus Intelligenztest (APM), mögliche Punktzahl: 0-5, M = 2,81 Punkte (SD = 1,57)
- Für die Manipulation der Testfairness konnten keine Gruppenunterschiede in der Testleistung für Geschlecht (Männer vs. Frauen) und Experimentalbedingung (Stereotpye Threat vs. Kontrollbedinung) gefunden werden. Auch die Interaktion der beiden Faktoren war nicht signifikant.
- Für die Manipulation der Diagnostizität gab es einen marginal signifikanten Haupteffekt des Geschlechts und eine signifikante Interaktion von Geschlecht und Experimentalbedingung. Entgegen der Hypothesen ergaben Kontraste, dass es nur in der Kontrollbedingung signifikante Leistungsunterschiede gab, nicht aber in der Stereotype Threat-Gruppe. D.h., Männer zeigten signifikant bessere Leistungen als Frauen, wenn die Testinstruktionen besagten, dass der Test gerade noch entwickelt wird.
Diskussion der Ergebnisse
Die Studie konnte für beide Experimentalmanipulationen keinen Stereotype Threat-Effekt nachweisen. Mögliche Gründe für das Ausbleiben des Effekts könnten sein:
- Es liegen keine negativen Stereotype gegenüber den logisch-schlussfolgernden Fähigkeiten von Frauen vor
- Die Experimentalmanipulationen konnten nicht glaubhaft darstellen, dass es in negative Stereotype bzw. Leistungsunterschiede auf der abhängigen Variable (Test der nonverbalen Intelligenz) gab
- Ein methodisches Problem ist, dass es keine Zeitbegrenzung für die Bearbeitung der Aufgaben gab. In nachfolgenden Studien hat sich gezeigt, dass sehr motivierte ProbandInnen sich viel mehr Zeit für die Lösung der Aufgaben nahmen als eigentlich angesetzt war. Die Testbedingungen waren somit aufgrund der fehlenden Zeitbegrenzung nicht konstant. Wenn Frauen, die besonders motiviert sind, das negative Stereotyp zu widerlegen, länger für die Testbearbeitung gebraucht haben, könnte dies dazu geführt haben, dass wir keine schlechtere Leistung unter Stereotype Threat fanden.
Steckbrief
Titel (deutsch): | Beeinflussen negative Geschlechterstereotype die Leistung in einem Test logisch-schlussfolgernder Fähigkeiten? |
Titel (englisch): | Do negative gender stereotypes influence performance in a test of logical-deductive abilities? |
Erhebungszeitraum: | 10/2012 |
Stichprobe (effektiv): | 302 |
Stand der Informationen: | 28.02.2013 |