Anderl, Christine; Clément, Celina C.; Notebaert, K.; Hahn, T. & Windmann, S.

Spielt die soziale Wertorientierung eine Rolle bei sozialen Entscheidungen in Alltagssituationen?

Die soziale Wertorientierung („Social Value Orientation“, van Lange, 1999) ist ein weit verbreitetes Maß zur Bestimmung individueller Kooperationspräferenzen, das eine gute Vorhersagekraft für Verhalten in verschieden sozialen Dilemmasituationen besitzt (Bogaert, Boone, C. & Declerck, 2008).

Mit unserer Studie wollten wir untersuchen, ob die soziale Wertorientierung auch bei sozialen Entscheidungen in Alltagssituationen eine Rolle spielt. Wir vermuteten, dass sich Menschen mit einer prosozialen Wertorientierung in alltäglichen Dilemmasituationen weniger eigennützig entscheiden als Menschen mit einer individualistischen Wertorientierung.

Im ersten Teil der Studie wurden unseren VersuchsteilnehmerInnen dazu in Form von Fallvignetten Entscheidungsituationen präsentiert, für die sie einschätzen sollten, wie sie sich selbst in der entsprechenden Situation verhalten würden. Die Antwortalternativen stellten dabei immer einen Konflikt zwischen eigenem Nutzen und gesellschaftlichen Normen dar.

Beispielvignette

Sie haben sich vor ein paar Wochen ein Buch aus der Bibliothek ausgeliehen, das Sie heute zurückbringen möchten, da die Leihfrist endet. Als Sie es beim Frühstück noch einmal durchblättern, stoßen Sie an Ihre Kaffeetasse, wodurch eine größere Menge Kaffee über die letzten Buchseiten läuft. Der Schaden ist von außen nicht zu sehen, weshalb Sie die Möglichkeit hätten, das Buch zurückzugeben, ohne jemanden über den Schaden zu informieren.

Würden Sie das Buch zur Bibliothek zurückbringen, ohne den Schaden zu melden?

Im zweiten Teil des Fragebogens wurde mithilfe eines standardisierten Testverfahrens (Murphy, Ackermann, & Handgraaf, 2011) die soziale Wertorientierung der TeilnehmerInnen erfasst. Dieser Fragebogen dient dazu, festzustellen, wie die TeilnehmerInnen (fiktiv) finanzielle Ressourcen zwischen der eigenen und einer weiteren Person aufteilen. Aus den Antworten lassen sich individuelle Präferenzmuster bezüglich der Ressourcenaufteilung ableiten, die als prosoziale und individualistische Wertorientierung bezeichnet werden. Unter einer prosozialen Wertorientierung versteht man eine Präferenz dafür, finanzielle Ressourcen in einer Weise aufzuteilen, die den größten gemeinsamen Nutzen für die eigene und die andere Person bringen. Menschen, die eine individualistische Wertorientierung besitzen, haben dagegen eine Präferenz dafür, sich bei der Aufteilung von Ressourcen den größten eigenen Nutzen zu verschaffen, unabhängig davon, welche Auswirkung das für die andere Person hat.

Entsprechend unserer Hypothese zeigte sich, dass sich Menschen mit einer prosozialen Wertorientierung auch in alltäglichen Dilemmasituationen weniger eigennützig entscheiden als Menschen mit einer individualistischen Wertorientierung.

Die Limitationen der Studie liegen darin, dass für die sozialen Entscheidungen nur Selbsteinschätzungen und keine Verhaltensmaße erhoben wurden.

Literatur

Bogaert, S., Boone, C., & Declerck, C. (2008). Social value orientation and cooperation in social dilemmas: A review and conceptual model. British Journal of Social Psychology, 47(3), 453-480.

Murphy, R., Ackermann, K., & Handgraaf, M. (2011). Measuring social value orientation. Judgment and Decision Making, 6(8), 771-781.

Van Lange, P. A. (1999). The pursuit of joint outcomes and equality in outcomes: An integrative model of social value orientation. Journal of Personality and Social Psychology, 77(2), 337.

Steckbrief

Titel (deutsch): Spielt die soziale Wertorientierung eine Rolle bei sozialen Entscheidungen in Alltagssituationen?
Titel (englisch): Does Social Value Orientation play a role in daily life social decision making?
Erhebungszeitraum: 09/2013
Stichprobe (effektiv): 569
Stand der Informationen: 03.12.2013

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Christine Anderl

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